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Geschlechterdeutende Traditionen

Als wir uns gegründet hatten, war das Ziel die alte medizinisch-pychiatrische Vorstellung, dass Menschen mit Transsexualität quasi die Extremform einer anderweitigen geschlechtlichen Identifizierung hätten und deswegen medizinische Massnahmen wünschen, abgelöst wird, durch eine Perspektive, die das Wissen, das Menschen über sich selbst haben, in den Mittelpunkt stellt. In den 60er-Jahren gab es bereits eine sogenannte Sex Orientation Scale (S.O.S.), die folgendermassen aussah:

1     I     Transvestite (Pseudo)    
1     II     Transvestite (Fetishistic)    
1     III     Transvestite (True)    
2     IV     Transsexual (Nonsurgical)    
3     V     Transsexual (Moderate intensity)    
3     VI     Transsexual (High intensity)    

Die Vorstellung, dass die Stärke der anderweitigen geschlechtlichen Identifizierung der Grund für Operationswünsche ist, basiert auf der Idee, dass Geschlecht eine Frage der sozialen Selbstzuordnung ist. Wer sich nicht seinem zugewiesenen sozialen Geschlecht zugehörig führt, kann, so die Idee, im Extremfall dazu führen, dass Menschen sich unter das Messer legen wollen.

Wenn von "trans*people" oder "Transmenschen" die Rede ist, wird meist eine ähnliche Perspektive eingenommen. "Trans*" stehe, so Arn Sauer von TriQ/BVT* (Bundesverband Trans*) in Berlin als Oberbegriff, um ein "breites Spektrum von Identitäten, Lebensweisen und Konzepten zu bezeichnen, auch solche, die sich geschlechtlich nicht verorten (lassen) möchten (Benachteiligung von Trans*Personen,  insbesondere im Arbeitsleben, ADS, 2010). Der Verein lambda schreibt, dass von einem "Trans*Menschen" gesprochen werde, wenn ein Mensch sich nicht mit dem Geschlecht anrrangieren kann, dass "ihm_ihr bei der Geburt zugewiesen wurde" und das Geburtsgeschlecht nicht mit dem "gelebten und gefühlten Geschlecht" übereinstimme (Akzeptrans*, lambda Bayern, 2015).

Anfang 2017 wurde ein Text veröffentlicht, der sich "Aktueller Stand der Leitlinienentwicklung Geschlechtsinkongruenz und
Geschlechtsdysphorie" nennt. Dieser Text spricht von "Trans*Gesundheit" und beschreibt die Entwicklung der AWMF-S3-Leitlinie "Geschlechtsinkongruenz" und wurde von den Sexologen Bernhard Strauß und Timo O. Nieder verfasst. Beteiligt an dem Prozess waren u.a. Mari Günther (queerleben, Berlin) und Arn Sauer (TriQ, BVT*). In diesen Leitlinien wird erwähnt, dass "im Rahmen der Erstdiagnostik die Möglichkeit einer konflikthaft´erlebten und abgewehrten Homosexualität" mit bedacht werden solle, und im Einzelfall zu klären wäre, "ob ein homosexuelles Coming-out oder eine Angleichung bei evtl. bereits inkorporierter gegengeschlechtlicher Identität besser helfen kann.". Analog des Drafts zur Leitlinie "Geschlechtsinkongruenz", an welcher Personen aus dem Umfeld des BVT* mitgewirkt haben (Arn Sauer, Mari Günther), wird folgendes ausfgeführt: "das Verlangen nach körpermodifizierenden Maßnahmen [...] kann demzufolge vorhanden sein, muss es es aber nicht, um eine GD bzw. GI diagnostizieren zu können."

Der BVT* hat im April 2018 auf seiner Website veröffentlicht, dass "laut Studien, immerhin zwischen und 25 und 75 Prozent der trans*Menschen" sich nicht-binär verorten. In einer Stellungnahme wird beschrieben, dass, falls Eltern ihre trans* Kinder nicht unterstützen würden, dies zu einer erhöhten Form/Rate von "Gender Dysphorie" führen würde (Gender Dysphoria BVT_2018_UPR_Advocacy-Sheet-2, BVT*).

Nimmt man diese Entwicklungen und Texte ernst, dann kann festgehalten werden, dass die ursprüngliche medizinisch-psychiatrische Idee der abweichenden "Gender Identity" immer noch die Überschrift für alles sein soll und die geschlechtlichen Selbstaussagen von Menschen immer noch nicht als Aussagen über das Geschlecht (und nicht etwa die "Geschlechtsidentität") ernst genommen und anerkannt werden. "Trans*" (mit Sternchen) steht demnach in der Tradition einer psycho-sexologischen Sicht auf Geschlecht, in der es nicht um eine selbstbestimmte Sicht auf Geschlecht geht, sondern um eine Einteilung nach Abweichungen zu so etwas wie Norm-Geschlechterrollen und Identitäten, die dann "non-binär" sein können, mit "Gender Inkongruenz" diagnostiziert werden können aber nicht automatisch zu körperlichen Massnahmen führen müssen, selbst wenn eine Diagnose GI oder GD gestellt ist.

Zur Erinnerung: Wir hatten uns 2007 gegründet, um an dieser Perspektive (die an sich immer noch auf der "Sex Orientation Scale" der 60er-Jahre basiert) etwas zu ändern. Medizinische Massnahmen sollten unabhängig sein, von geschlechtlichen Identitäten oder Stereotypen. Unter einem Recht auf Medizin (im Sinne der Menschenrechte) verstehen wir die medizinische Versorgung, ohne dass Menschen Behandlungen über sich ergehen lassen müssen, in denen ihr Geschlecht in Frage gestellt oder zum medizinischen Behandlungsgegenstand erklärt wird. Transsexualität verstehen wir in diesem Sinne. Es handelt sich - so unsere Haltung - bei Transsexualität nicht um eine Frage der geschlechtlichen Identität, sondern um eine Frage körperlicher Abweichungen zum eigenen Geschlecht.