Ein Zwangsouting kommt selten allein

Bereits gestern hatten wir darüber berichtet, wie ein Gericht in Rheinland-Pfalz der Ansicht war, Zwangsoutings für transsexuelle Arbeitnehmer als legitim anzusehen. Kaum sieht man sich um, schon dürfen wir ein weiteres Urteil anfügen, dass eine ähnliche Schlussfolgerung zulässt. Dieses mal trifft es Selbstständige und potentielle Arbeitgeber.

Die Juraplattform "Juraform.de" hat heute einen Text zu einem Urteil des Oberlandesgerichtes Schleswig-Holstein veröffentlicht, das bereits im Frühling 2014 gesprochen wurde. In dem Urteil mit dem Aktenzeichen 2 W 25/14 wird ausgeführt, dass transsexuelle Menschen, die ein Unternehmen führen, kein Recht darauf hätten, dass ihr früher Name im Handelsregister gelöscht wird.

Die Richterin Dr. Christine von Milczewski äusserte dazu in einer Pressemitteilung, es überwiege "das öffentliche Interesse daran, die Richtigkeit und Vollständigkeit des Handelsregisters zu gewährleisten, gegenüber dem Recht der Beteiligten auf vollständigen Schutz Ihrer informationellen Selbstbestimmung."

Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe sei zugelassen worden.

Wir fragen uns, was daran richtig sein soll, eine Frau mit männlichem Namen in einem Register zu führen. Offenbar ist das Gericht in Schleswig-Holstein der Ansicht, dass eine transsexuelle Frau vor der Änderung der Papiere männlichen Geschlechts gewesen sei. Immer wieder müssen wir feststellen, dass diese transsexuellenfeindliche Vorstellung selbst an deutschen Gerichten existiert.

Was hatten wir da gestern dazu angemerkt? Wir fügen das einfach noch mal ein:

„Der vom Persönlichkeitsrecht geschützte Wunsch nach Ausdruck der eigenen Geschlechtlichkeit im Vornamen umfasst damit auch das Recht [...] sich nicht im Alltag Dritten oder Behörden gegenüber hinsichtlich der eigenen Sexualität gesondert offenbaren zu müssen (vgl.BVerfGE 88, 87 <97 f.>)."

Das hatte mal das Bundesverfassungsgericht geäussert. Erstaunlich, wie wir finden, dass Zwangsoutings zu fordern, dennoch kein Problem für Richter_Innen an deutschen Gerichten zu sein scheint.

Link zu der Meldung auf juraforum.de:

Transsexualität darf aus Handelsregister ersichtlich sein

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz fordert transsexuelle Arbeitnehmer zum Zwangs-Outing auf

Will ein transsexueller Arbeitnehmer Schutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) geniessen, muss nach Auslegung des Landesarbeitsgerichtes Rheinland-Pfalz die Transsexualität vorher bekannt gemacht worden sein. In einem Urteil, das nun veräffentlicht wurde, führt das Gericht aus, dass es erforderlich sei, "dass der Arbeitgeber oder sein Vertreter das Vorliegen des Nachteils kennt oder jedenfalls vom Vorliegen dieses Merkmals ausgeht."

Einer transsexuelle Frau, die bereits eine Zusage für eine Stelle als Kommissioniererin in einem Schmuckhandelsunternehmen hatte, war nach dem Treffen mit dem Logistikleiter mitgeteilt worden, dass die Stelle anderweitig besetzt würde.

Botschaft des Urteiles des Landesarbeitsgerichtes Rheinland-Pfalz ist, dass transsexuelle Arbeitnehmer nur dann Schutz vor Diskriminierung geniessen können, wenn sie nachweisen können, dass sie ihre Transsexualität vorher bekannt gemacht haben. Aus Sicht der Aktion Transsexualität und Menschenrecht bedeutet dies eine Aufforderung zum Zwangsouting. Damit wird der Sinn von Antidiskriminierungsregelungen auf den Kopf gestellt. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2006 dazu noch folgendes geäussert (BVerfG, 1 BvL 1/04):

„Der vom Persönlichkeitsrecht geschützte Wunsch nach Ausdruck der eigenen Geschlechtlichkeit im Vornamen umfasst damit auch das Recht [...] sich nicht im Alltag Dritten oder Behörden gegenüber hinsichtlich der eigenen Sexualität gesondert offenbaren zu müssen (vgl.BVerfGE 88, 87 <97 f.>)."

Der Widerspruch ist offensichtlich. Wenn man berücksichtigt, dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verstärkt dazu aufruft "anonymisierte Bewerbungsverfahren" einzusetzen und Christine Lüders, die Leiterin der ADS meint, dass die anonyme Bewerbung ein "sehr gutes Mittel gegen Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt" sei, möchte man sich nicht ausmalen wie (un-)wirkungsvoll das für transsexuelle Menschen sein kann.

Der Gerichtsentscheid aus Rheinland-Pfalz zeigt wie wichtig es ist, über geeignete Mittel gegen die Diskriminierung transsexueller Menschen im Arbeitsumfeld nachzudenken. Antidiskriminierungsgesetze, die in der Anwendung die Folge haben, Zwangsoutings zu fordern, und damit selbst Teil der Diskriminierung zu werden, sind ziemlich absurd.

Der Link zum Urteil:

Zur Diskriminierung wegen Transsexualität