building responsive website

Geschlechterschubladen und Fragen an die Grünen.

In Bezug auf die Ergebnisse einer Umfrage des UKE, die sich u.a. mit der Frage beschäftigt hatte, wie Menschen, die geschlechtlichen Normen nicht entsprechen, selbst von sich sprechen, hatten wir der Grünen Bundestagsfraktion einen Fragenkatalog zugesendet. Die Grünen hatten am 17. Dezember eine Kleine Anfrage formuliert, in der von "Intergeschlechtliche Menschen in Deutschland" die Rede war. Laut der Ergebnisse der Umfrage des UKE, die am 25.11.2015 in Berlin vorsgestellt wurde, präferierieren die Erfahrungsexpert_innen ("Betroffene") die Bezeichnung "Varianten der körpergeschlechtlichen Entwicklung", während Dritte von "Intergeschlechtlichkeit" sprechen.

Da wir Menschen mit Intersex-Diagnose in unserem Verein haben, und wissen, dass es unmöglich ist, so etwas wie eine Trennung zwischen "Trans*menschen" oder "Inter*Menschen" vorzunehmen, erachten wir die Bezeichnung "Intergeschlechtlichkeit" als politisch gewollt, um Geschlechterschubladen zu konstruieren, Gruppen voneinander abzugrenzen (basierend auf identitären Konstruktionen), und geschlechtliche Macht ausüben zu können. Das Spiel "teile und herrsche" gehört mit zu der Machtausübung über Menschen, deren Körper nicht der Norm entspricht. Die Idee einer "Trans-" oder "Inter-"geschlechtlichkeit deutet Geschlecht anhand kultureller Vorstellungen von Geschlecht und ist nicht geeignet geschlechtliche Vielfalt begreifbar zu machen. Im Gegenteil: Die Teilung in identitäre Gruppierungen wie "Trans*menschen", "Inter*menschen", "Homo*menschen" etc. dient dem Errichten von gesellschaftlich konstruierten Grenzziehungen um sich Geschlecht medizinisch und staatlich verfügbar zu machen.

Aus Sorge um eine Entwicklung, die wir als kritisch erachten, hatten wir die Grünen um Stellungnahme gebeten.

Hier eine Zusammenfassung der Antworten.

1. Warum verwenden die Grünen den Begriff „Intergeschlechtlichkeit“, obwohl klar aus einer Studie des UKE hervorgeht, dass ErfahrungsexpertInnen sich selbst so NICHT bezeichnen, sondern Menschen mit „körperlichen Variationen“ bevorzugen?

Was die Selbstbezeichnung der Erfahrungsexpert*innen betrifft, gibt es keine einheitliche Nomenklatur. Beim letzten, am 04.11.2015 stattgefundenen Fachaustausch zum Thema Intergeschlechtlichkeit/-sexualität des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gab es viele intergeschlechtliche/-sexuelle Menschen, die die Bezeichnung „Intergeschlechtlichkeit“ deutlich präferiert haben. Deshalb haben wir sie zum ersten Mal in unserer parlamentarischen Arbeit benutzt.

2. Wie bewerten die Grünen, dass auch „Transgeschlechtlichkeit“ von ErfahrungsexpertInnen als Begriff abgelehnt wird – und zwar aus ähnllchen Gründen, wie „Intergeschlechtlichkeit“: Der Reduzierung von Geschlecht auf körperliche Merkmale und die genitalistische Gleichsetzung Körpermerkmal = Geschlecht des Menschen.

Wir nehmen diese Information zur Kenntnis und weisen darauf hin, dass wir den Begriff „Transgeschlechtlichkeit“ in unserer parlamentarischen Vorlagen noch nie benutzt haben (sehe beispielsweise: Große Anfrage „Zur internationalen Lage der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgendern und Intersexuellen“ http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/069/1806970.pdf)

3. Warum verweisen die Grünen auf ein höchst problematisches Papier der ADS, in welchem nicht geschlechtliche Vielfalt (LSBTTIQA) anerkannt wird, sondern beispielsweise Transsexualität synonym mit Trans*Identität genannt wird?

Die Frage soll dazu dienen, nach den Aktivitäten der Bundesregierung in diesem Bereich sowie nach der Umsetzung der existierenden Forderungen zu fragen.

4. Ist den Grünen der Unterschied zwischen Genderidentität und Körperwissen bewusst? Ist den Grünen klar, dass „Transsexualität“ sich auf den Körper bezieht (z.B. wenn ein Mädchen weiss, einen vermännlichten Körper zu „besitzen“), aber „Trans*identität“ sich auf Gender-Identität bezieht, also auf eine soziale Identifikation?

Ja.

5. Ist den Grünen klar, dass Menschen mit intersex-Diagnose auch transsexuell sein können (z.B. wenn sie wissen, Frau oder Mann zu sein, deren körperliche Merkmale Variationen aufweisen, sprich: transsexuell ausgebildet sind)?

Ja.

6. Erkennen die Grünen an, dass Intersexualität, Trans*Identität und Transsexualität sich auf unterschiedliche geschlechtliche Ebenen des Menschen beziehen und von daher keine „Intermenschen“ von „Transmenschen“ abgegrenzt werden können?

Es gibt „Intermenschen“, die sich in ihrer Identität von „Transmenschen“ klar abgrenzen. Das nehmen wir ebenfalls zu Kenntnis und akzeptieren es selbstverständlich.

7. Ist den Grünen bewusst, dass Sätze wie „Wenn sich schon nach der Geburt zweifelsfrei ergeben hat, dass das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann“ deswwegen problematisch sind, da die Zuordnung selbst auf Gender-Deutung basiert (der Idee, ab wann ein Körpermerkmal nicht mehr der Norm entspricht), anstatt auf biologischen Tatsachen?

In der Tat ist die Formulierung problematisch. Die Frage bezieht sich allerdings auf die Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz (VwV-PStG), die diese Formulierung benutzt.

8. Ist den Grünen klar, dass bereit eine deutliche Kritik (bereits zum CEDAW-Bericht 2008) an identitären Geschlechterkonzepten - dem biologistischen Einteilen von Menschen in Gender-Schubladen wie „Mann“ und „Frau“ (bezogen auf den Gender-Teil), aber auch „Intermensch“, „Transmensch“, etc. - formuliert wurde?

Ja.

9. Ist der Bundestagsfraktion der Grünen bewusst, dass die Schriftreihe der ADS nicht den Erfahrungen der transsexuellen, transidenten und intersexuellen Menschen in Deutschland entspricht, sondern nur einer kleinen, aber lauten nicht-repräsentativen Lobbygruppe? Wissen Sie, dass das "Themenjahr" der ADS in seiner Umsetzung bei vielen von geschlechtlichen Normen abweichenden Menschen für ziemlich schlechte Laune gesorgt hat und die ADS von einigen bereits Diskriminierungsstelle genannt wird?

Wir nehmen diese Information zur Kenntnis, teilen aber die Kritik bezüglich der Arbeit der „nicht-repräsentativen Lobbygruppe“ und der Antidiskriminierungsstelle des Bundes nicht.

Der letzte Punkt ist insofern interessant, da wir die Frage an die Grünen nicht "einfach so" gestellt hatten. Wenn wir Fragen formulieren, dann basieren diese auf uns zur Verfügung stehenden Informationen. Dazu gehören neben den Rückmeldungen auf unsere Veröffentlichungen auch Erfahrungsberichte von Menschen, die auf uns zukommen, die Expertise unserer Mitglieder, aber auch Ergebnisse von Umfragen und/oder Studien. Die Einseitigkeit der Veröffentlichung der (A)DS im Themenjahr 2015 ist auch unabhängig davon offensichtlich. Wenn Menschen in "Transgeschlechter" oder "Intergeschlechter" eingeteilt werden und die Kritik an dieser identitären Geschlechterschubaldisierung bekannt ist, dann ist es nicht "vielfältig" diese einfach unberücksichtigt zu lassen. Wer trotz des besseren Wissens eine politische Agenda (gegen Menschen in diesem Land) dürchdrücken will, der hat kein Interesse sich für Minderheitenrechte einzusetzen.

Über das Wort "Minderheit" in diesem Punkt noch einmal genau nachzudenken, würde sich zudem lohnen. Es dürfte bekannt sein, dass in demokratischen Strukturen insbesondere Minderheiten von Diskriminierung betroffen sind. Das heisst, dass Antidiskriminierungspolitik immer an der kleinsten Minderheit zu orientieren hat: Dem Menschen an sich. Dies ist das Prinzip der Menschenrechte. Unabhängig unserer Skepsis darüber, dass die Geschlechterschubladenpropaganda, die uns da bis zum Erbrechen vorgesetzt wurde, wirklich dem enspricht, wie sich Erfahrungsexpert_innen (die "Betroffenen") das wünschen (siehe: der Anfang dieses Artikels), wäre selbst dann äusserste Skepsis in der Beurteilung der Arbeit der (A)DS angebracht, wenn dem nicht so wäre und sich tatsächlich eine Mehrheit origanisieren liesse, die sich mit der "Transmenschen"-"Intermenschen"-Schubladiserung einverstanden erklären würde, und diese konstruierte "Mehrheit" (die wir in seiner Existenz stark bezweifeln - Lobbyismus hin oder her) dann zum Mass aller Dinge genommen würde. Es würde dann nämlich bedeuten, dass die (A)DS Mehrheitspolitik präferierte, anstatt sich für den Schutz von Minderheiten einzusetzen.

Hier würde auch den Grünen gut zu Gesicht stehen, sich etwas mehr mit dem Prinzip der Menschenrechte auseinander zu setzen. Menschenrechte sind die Rechte eines jeden (einzelnen!) Menschen. Sobald dieses Prinzip verletzt wird, und daraus Gruppenrechte werden, oder sogar Gruppen konstruiert werden (wie eben "Inter*menschen" oder "Trans*menschen") ist dies der erste Schritt, um das Prinzip der Menschenrechte zu verlassen. Wer Schubladen konstruiert, dem geht es um Lobbyismus und eine politische Agenda, in der es nicht darum geht, allen Menschen gleiche Rechte zukommen zu lassen, sondern in der die Rechte von Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Und das ist dann nicht das, was wir unter dem Einsatz für Menschenrechte verstehen, sondern genau das Gegenteil davon. Es ist Herrschaftspolitik.

Die Präsentation des UKE: Link