Die Zeit ist reif: Rede zum CSD-Empfang im Staatsministerium Ba-Wü
Gestern, am 28. Juni 2012, lud Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum ersten mal in der Geschichte des Landes der Baden-Württemberg Vertreter und Vertreterinnen verschiedener Verbände und Gruppen ein, um dem Jahrestag des Stonewall Riots im Regierungspräsidum in Stuttgert, in der Villa Reitzenstein, einen würdigen Rahmen zu geben. Für diesen Anlass wurde sogar die Regenbogenfahne vor dem Staatsministerium gehisst.
Winfried Kretschmann betonte in seiner Rede, wie wichtig eine diskriminierungsfreie Gesellschaft sei und dass sich die Landesregierung dafür stark machen wolle. Neben Winfried Kretschmann kamen Vertreter des LSVD zu Wort, sowie Kim Schicklang, die Vorsitzende von ATME e.V.
Schriftliche Rede von Kim Anja Schicklang (Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V. / ATME):
„Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,
liebe Regierungsmitglieder,
liebe Abgeordnete des Landtags,
liebe Anwesende.
Herzlichen Dank dafür, dass ich heute hier stehen kann, um eine Rede zu halten.Herzlichen Dank, dass ich damit die Chance eingeräumt bekomme, daran zu erinnern, dass neben Schwulen und Lesben auch noch andere Menschen existieren, die aus dem heteronormativen Raster der geschlechtlichen Fremdbestimmung fallen. Neben Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender-Personen (also denen, die eine bestimmte Geschlechtsrolle einnehmen wollen), und intersexuellen Menschen, gibt es auch noch...
Transsexuelle Menschen. Menschen, die auf Grund ihrer Anatomie nach der Geburt beispielsweise dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden, obwohl sie Jungs sind - oder Menschen, zu denen die Hebamme sagt, wenn sie zwischen die Beine des Kindes schaut: "Du bist ein Junge", obwohl es sich um ein Mädchen handelt.
Immer noch wird so getan, als gebe es transsexuelle Menschen nicht. Zumindest nicht als das, was transsexuelle Menschen - spätestens mit dem Coming Out - selbst über sich wissen: geschlechtlich von einer gesellschaftlichen Norm abweichend geboren worden zu sein.
Es gibt in Baden-Württemberg mehrere Selbsthilfegruppen und Vereine transsexueller Menschen – in der Öffentlichkeit nimmt aber kaum jemand davon etwas wahr.
Woher kommt das? Erlauben Sie mir einen Blick in die Vergangenheit.
Wenn die Geschichte der Emanzipationsbewegung von Schwulen und Lesben erzählt wird, so geht es in dieser immer auch um den sogenannten Stonewall-Riot, eine Auseinandersetzung um die Bar “Stonewall Inn” in einer schwülen Sommernacht 1969. Die Besucher der Bar liessen sich nicht länger gefallen, dass die Polizei sie demütigt und erniedrigt, gingen auf die Strasse und wehrten sich.
Der 28. Juni 1969 markiert den Zeitpunkt an dem Menschen, die bis dahin als pervers, krank und widernatürlich galten, sich selbst die Würde zukommen liessen, die andere ihnen bis dahin verwehren wollten. Sie erhoben ihr Haupt und machten klar, dass sie die Fremdbestimmung nicht länger ertragen wollen.
Daraus entstand dann weltweit das, was wir heute als “gay pride”-Märsche oder in Deutschland als “Christopher Street Day” kennen.
Wenn die Geschichte der Vorkommnisse 1969 in New York erzählt wird, wird aber meist eines vergessen: Es war, so ist es überliefert, eine transsexuelle Frau, die den ersten Stein warf. Sie hiess Silvia Rivera, war damals 17 Jahre alt und äusserte sich später zu den Riots folgendermassen:
"Wir wollten uns diesen Scheiss nicht länger gefallen lassen. Die Zeit war reif."
Transsexuelle Menschen waren also massgeblich dafür verantwortlich, dass so etwas wie ein CSD überhaupt gefeiert werden kann.
Leider gehört aber auch zur Geschichte, dass diese Tatsache häufig genauso verschwiegen wird - wie auch die Existenz transsexueller Menschen an sich genauso gerne ignoriert wird. Werden transsexuelle Menschen irgendwo miterwähnt, dann meistens indem ihr geschlechtliches Selbstwissen als Phantasie, Befindlichkeit oder als psychische Störung definiert wird. Transsexuelle Frauen werden bis heute als Männer, die in der Frauenrolle leben wollen dargestellt und transsexuelle Männer müssen sich Gefallen lassen, als Frauen zu gelten, die als Mann leben wollen. Selbst in Schwul-Lesbischen Kreisen hat sich noch nicht überall herumgesprochen, dass beispielsweise transsexuelle Frauen keine verkleideten Männer sind, sondern durchaus ein genauso klares Wissen über ihre Geschlechtszugehörigkeit besitzen, wie Schwule und Lesben über ihre sexuelle Orientierung.
Dass transsexuelle Menschen noch heute, gut 30 Jahre nachdem Homosexualität aus dem internationalen Manual der psychischen Störungen gestrichen wurde, immer noch als psychisch krank gelten, ist ... und das muss auch mal laut gesagt werden... ein Skandal. Es ist ein Skandal der streng verknüpft ist mit dem Verschweigen, dem Ignorieren und dem Ausblenden transsexueller Menschen aus der Gesellschaft:
Wer verschweigt, dass transsexuelle Menschen mit zur Geschichte der CSDs gehören, macht sich mitschuldig daran, dass transsexuelle Menschen bis heute immer noch gedemütigt, von Psychiatern und Psychoanalytikern missbraucht und mittels Gesetzen wie dem Transsexuellengesetz von der Teilhabe am normalen gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden können. Es macht sich schuldig, weil er weg sieht.
Dieses Wegsehen ist der Grund dafür, warum auch hier in Baden-Württemberg täglich Menschenrechtsverletzungen an transsexuellen Menschen stattfinden können.
Da gibt es psychiatrische Gutachten, zu denen transsexuelle Menschen gezwungen werden um als sie selbst anerkannt zu werden. Aber nur, wenn sie zugeben, dass ihr geschlechtliches Selbstwissen widernatürlich ist. Psychischer Missbrauch bis hin zur sexuellen Nötigung – in mancher Stadt in Baden-Württemberg ist dies völlig normal, dass transsexuelle Menschen dies auf sich nehmen, um Papiere zu erhalten, die ihrem eigentlichen Geschlecht entsprechen.
Da gibt es ein Gesundheitssystem, in dem Krankenkassen transsexuellen Menschen medizinische Leistungen erst dann gewähren, wenn alle anderen Versuche einen transsexuellen Menschen psychisch zu heilen gescheitert sind. Auch in Baden-Württemberg gibt es diese Form der Umpolungstherapien, die auf Thesen sogenannter “Sexualwissenschaftler” basieren, die transsexuelle Frauen für psychisch kranke Männer und transsexuelle Männer für psychisch kranke Frauen halten.
Zur Erinnerung:
Transsexuelle Frauen, sind keine Männer, die als Frauen leben wollen, sondern Frauen.
Transsexuelle Männer, sind keine Frauen, die als Männer leben wollen, sondern Männer.
Das zu Akzeptieren sollte einfach sein. Doch leider ist es das für viele Menschen nicht.
Auch wenn mittlerweile jedem klar sein dürfte, dass die Teilung in natürliche und widernatürliche Menschen immer eine massive Menschenrechtsverletzung zur Folge haben muss, so scheint ausgerechnet das Wissen um die Verbrechen geschlechtlicher Fremdbestimmung, wenn es um transsexuelle Menschen geht, plötzlich nicht mehr vorhanden.
Kein halbwegs aufgeklärter Mensch würde heute noch behaupten, ein homosexueller Mensch sei biologisch heterosexuell und verhielte sich “wider die Natur”. Gut, es gibt immer noch geistig Verwirrte, die an diese Trennung zwischen objektiver Natürlichkeit und subjektivem, widernatürlichen Verhalten glauben... aber zumindest ist mittlerweile klar geworden, was tatsächliche Realität und was Ideologie ist und wer hier auf welcher Seite steht. Jahrzehnte seit dem ersten Stonewall-Riot, dem der selbstbewusste Schritt von Lesben und Schwulen in die Öffentlichkeit folgte, haben erreicht, dass heute klar ist, dass der, der homosexuelle Menschen für geistig krank hält, und Homosexualität für ein widernatürliches Verhalten von eigentlich hetereosexuellen Menschen, der eigentlich Kranke ist, weil er nicht in der Lage ist, oder davor Angst hat, die Vielfalt der Welt in der er lebt, wahrzunehmen oder zu akzeptieren.
Bei Transsexualität aber - und das ist auch eine Folge des Verschweigens der Anliegen transsexueller Menschen – wird bis heute so getan, als gebe es eine objektive Natur und ein subjektiv gegen die Natur gerichtetes Empfinden transsexueller Menschen.
Wenn jemand äussert, eine transsexuelle Frau sei ein “biologischer Mann”, der sich als “Frau empfindet” bleibt der gesellschaftliche Aufschrei bis heute aus. Wenn jemand sagt, ein transsexueller Mann sei eine “biologische” Frau, die in der “Männerrolle” leben will, dann löst das immer noch keine Entrüstung aus. Die Trennung zwischen objektiv richtig – und subjektiver, gefühlter Abweichung – bei Transsexualität wird dieses Prinzip geschlechtlicher Fremdbestimmung immer noch als gültig angesehen.
Simone de Beauvoir hat zu Recht, als sie 1949 das Buch "Das andere Geschlecht" geschrieben hat, darauf hingewiesen, dass das "andere", das über das "eine" definiert wird und nicht als eigenständig wahrgenommen wird, sondern nur als Anhängsel, automatisch weniger Rechte bekommt. Ja es bekommt noch nicht einmal das Recht zugestanden, zu existieren.
Folgendes Zitat ist also von Simon de Beauvoir:
"Genau das passiert dem kleinen Mädchen, wenn es die Welt kennenlernt und sich darin als Frau erfasst. Die Sphäre, der es angehört, ist allseits vom männlichen Universum umschlossen, begrenzt und beherrscht: So hoch es sich auch recken mag, so weit es sich zu entfernen wagt, über seinem Kopf wird immer eine Decke sein, immer werden Wände ihm den Weg versperren. Die Götter des Mannes befinden sich in einem so unerreichbar fernen Himmel, dass es eigentlich keine Götter für ihn gibt. [...]"
Ich zitiere weiter:
"Diese Situation ist nicht einzigartig: Es ist auch die der Schwarzen in Amerika, teilweise in eine Zivilisation integriert, in der sie dennoch als minderwertige Kaste gelten. [...] Der grosse Unterschied besteht darin, dass die Schwarzen ihr Los mit Empörung erleiden [...] während die Frauen zur Komplizenschaft aufgefordert werden."
Simone De Beauvoir nennt das "unauthentisches Verlangen nach Selbstaufgabe und Flucht".
Genau diese Selbstaufgabe ist für transsexuelle Menschen in Deutschland heute noch verpflichtend. Sie werden gezwungen, sich einer von vermeintlich nicht-transsexuellen Menschen definierten Welt unterzuordnen und stellen fest: Hier darfst Du nur als Befindlichkeit als "Jemand der sich so fühlt" existieren, ohne dass man bereit wäre dir das Recht auf echte Existenz zu gewähren.
Transsexuelle Menschen leben in einer Welt, in der ihre Selbstaussagen über ihre Geschlechtszugehörigkeit als reine Befindlichkeit, als Gefühl sich "anders zu fühlen", wie die normalen Menschen, definiert ist. Transsexuelle Menschen werden so zu widernatürlichen Wesen, die sich nicht innerhalb der normalen Welt bewegen wollen, sondern deren Wunsch es ist, von dieser als normal behaupteten Welt abzugrenzen.
Ich möchte dazu einen Text aus dem Jahr 2012 zitieren. Er ist ein Beispiel, wie transsexuelle Menschen immer noch das eben angesprochene Recht auf Existenz verwehrt wird. Es heisst hier:
"Im Gegensatz dazu sind Transsexuelle Menschen mit einem eindeutigen biologischen Geschlecht, die sich jedoch psychisch dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen und deshalb für sich oft medizinische Eingriffe zur Anpassung ihres Körpers an das psychische Geschlecht wählen und ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister entsprechend den Möglichkeiten des Transsexuellengesetzes ändern lassen"
Dieses Zitat ist keines, das bislang von der Politik als rechtskonservativ und rückständig erkannt wurde.
Obwohl es transsexuelle Menschen zu widernatürlichen erklärt, gibt es Politiker die diese Ungeheuerlichkeit für bare Münze nehmen. Wer die "eindeutige Biologie" behauptet, die ich gerade zitiert habe, ist aber nicht irgendwer, sondern es handelt sich um den Deutschen Ethikrat und einem Ausschnitt aus der Stellungnahme über Intersexualität vom 23. Februar 2012.
Diese Widernatürlichkeitsbehauptung stellt quasi die Grundlage dar, auf der transsexuelle Menschen bis heute fremdbestimmt werden. Meist folgt dann darauf der nächste Schritt: Wenn jemand als widernatürlich definiert ist, dann darf ihm nur unter bestimmten Bedingungen geholfen werden. Dann hilft man ihm nur, wenn er sich in den Augen dessen, der die Normalität definiert, möglichst widernatürlich verhält - und das dann auch beweisen kann.
So komme ich zum nächsten Zitat:
"Für ein Leben des Betroffenen im anderen Geschlecht ist eine Angleichung seiner äußeren Erscheinung und Anpassung seiner Verhaltensweise an sein empfundenes Geschlecht erforderlich. Dies wird zunächst nur durch entsprechende Kleidung, Aufmachung und Auftretensweise herbeigeführt, um im Alltag zu testen, ob ein dauerhafter Wechsel der Geschlechterrolle psychisch überhaupt bewältigt werden kann."
Nicht nur, dass hier sogar der Begriff "anderes Geschlecht" auftaucht und somit sogar die verwendeten Buchstaben als niedergeschriebene Fremdbestimmung auch Platz in Simone de Beauvoirs Buch "Das andere Geschlecht" hätten finden können, wenn es 2012 veröffentlicht worden wäre und nicht 1949.
Es ist zugleich äusserst fragwürdig, wie auch heute noch jemand die Ansicht vertreten kann, dass man Menschen dazu zwingen darf, bestimmte äussere Erscheinungen und Verhaltensweisen anzunehmen, um ihm erst dann so etwas wie bestimmte Rechte zuzugestehen.
Auch dieses Zitat von eben wurde bislang von der Politik wenig kritisiert, stammt es doch vom Bundesverfassungsgericht und einem Entscheid über Transsexualität aus dem Jahr 2010.
So verwundert es kaum, dass transsexuelle Menschen heute noch als das "andere Geschlecht" gelten, und sich erst gefallen lassen müssen, sich dem "einen" unterzuordnen. Und wer sich als transsexueller Mensch in Deutschland nicht damit einverstanden erklärt sich zu einem unbiologischen, also widernatürlichen Menschen erklären zu lassen, der darf in Deutschland auch keine Rechte erhalten.
Es gibt sogar immer noch Gesetze wie das Transsexuellengesetz, das auf dieser Widernatürlichkeitsthese transsexueller Menschen basiert, und Politiker in Bund und Ländern unterstützen diese Thesen häufig sogar noch.
(Ich erinnere mich daran, wie jemand aus der Politik beim CSD 2010 in Stuttgart meinte, ein transsexuelles Mädchen sei ein “Junge, der sich wie ein Mädchen fühlt”. Gut, die Partei dieses Menschen regiert in BW nun nicht mehr... vielleicht klärt sich so manches von ganz alleine...)
Entrüstung darüber (über die Trennung zwischen pseudo-objektiver Wahrheit und behauptetem subjektivem unnatürlichen Empfinden) konnte man bislang nur von transsexuellen Menschen hören - und da auch nur vereinzelt.
Auch dazu hat Simone De Beauvoir etwas geschrieben:
"Die Theorien, die das Hervortreten der Frau als Fleisch, Leben, Immanenz, als das Andere verlangen, sind männliche Ideologien, die in keinster Weise weibliche Forderungen ausdrücken. Die Mehrzahl der Frauen schickte sich in ihr Los, ohne irgendeinen Versuch zum Handeln zu machen; diejenigen, die es zu verändern suchten, hatten nicht die Absicht, sich auf ihre Eigenart zu versteifen und durchzusetzen, sondern sie zu überwinden. Wenn sie in den Lauf der Welt eingegriffen haben, geschah es im Einverständnis mit den Männern und mit männlichen Perspektiven".
Im gewissen Sinne trifft diese Aussage von Simone De Beauvoir auch auf die Geschichte transsexueller Menschen zu. So waren in Vergangenheit die meisten transsexuellen Menschen dazu bereit still zu sein, um vermeintliche Vorteile zu geniessen, die ihnen nicht-transsexuelle Menschen zukommen liessen. Die Komplizenschaft, die Simone De Beauvoir angesprochen hat, gibt es auch bei transsexuellen Menschen. Und es ist immer praktisch wenn eine Gesellschaft der Herrschenden solche Komplizen findet. Denn wer hört dann noch auf diejenigen, die sich nicht zum Komplizen machen wollen?
Die Emanzipierten, die ihr transsexuelles Coming Out so ernst nemen, da sie wissen, dass ein "ich bin" mehr Wert ist, als die Beurteilung eines Angehörigen oder Komplizen der herrschenden Kaste - eben der Kaste, die transsexuelle Menschen immer noch für widernatürlich hält - ... diese Emanzipierten wurden in Vergangenheit nicht all zu oft berücksichtigt.
Ich habe das Gefühl dass jetzt langsam die Zeit gekommen ist, in der sich das ändern wird. Nämlich deswegen, weil immer mehr transsexuelle Menschen sich emanzipieren und nicht mehr um Berücksichtigung betteln, sondern wissen, dass sie auch ohne Entscheidung eines Herrschenden existieren.
Vielleicht ist die Zeit ja tatsächlich reif für die Emanzipation transsexueller Menschen?
Es ist schön, dass endlich einmal eine Landesregierung hier den Mut zeigt, transsexuelle Menschen nicht auf der Einladung zu vergessen und sogar den Willen zeigt, die Menschenrechtsverletzungen an transsexuellen Menschen öffentlich zu machen, um sie zu beenden.
Es ist schön, dass wir hier in Baden-Württemberg ein paar Menschen haben, welche sich auch zum Ziel gesetzt haben, die Fremdbestimmung an transsexuellen Menschen zu beenden.
Erlauben sie mir ein paar Beispiele, was eine Landesregierung tun kann, um die Situation transsexueller Menschen zu verbessern:
- sie kann dafür sorgen, dass transphobe Wissenschaft – oder besser Pseudo-Wissenschaft, die transsexuelle Menschen als psychisch krank erachtet – nicht mehr von Landesgeldern finanziert wird
- sie kann erreichen, dass an Schulen und Hochschulen über Transsexualität aufgeklärt wird.
- sie kann zusammen mit Landesärztekammern und Krankenkassen unter Beteiligung transsexueller Menschen ethische Leitlinien bei der medizinischen Versorgung transsexueller Menschen entwickeln.
- sie kann Anlaufstellen für transsexuelle Kinder einrichten und diesen Kinderanwälte zur Seite stellen, damit ihre Rechte und ihre geschlechtliche Selbstbestimmung gewahrt wird
- sie kann sich auch über den Bundesrat und die Verbindungen zu Bundestagsabgeordneten ein deutliches Zeichen zur Abschaffung des Transsexuellengesetzes setzen
Und vor allem kann eine Landesregierung transsexuellen Menschen zuhören. Sie kann selbst die künstliche Trennung zwischen angeblicher "Biologie" einerseits und behaupteter Befindlichkeit andererseits hinterfragen, sie kann kritisieren, wenn aus solchen Weltanschauungen Diskriminierung entsteht und mit dazu beitragen, dass andere Wahrheiten auch zugelassen werden.
Es gibt die Trennung zwischen echtem und falschem, zwischen biologischem und widernatürlichem Geschlecht nicht. Diese Trennung ist künstlich. Diese Trennung ist ledglich Machtinstrument einer Welt, in der geschlechtliche Abweichungen nicht existieren sollen. Es ist ein Welt, in der homosexuelle Menschen, intersexuelle Menschen und transsexuelle Menschen weniger Rechte haben sollen, weil man sagt, dass es da etwas gibt, was euch von den "normalen", den biologisch existenten Menschen unterscheidet.
Wenn eine transsexueller Frau sagt, sie sei eine Frau, dann ist sie eine.
Wenn ein transsexueller Mann sagt, er sei ein Mann, dann ist er einer.
Die Landesregierung kann vor allem daran mitarbeiten diese ewiggestrigen Ansichten, die zwischen biologisch echtem und widernatürlich unechtem (weil ja nur “gefühlten”) Geschlecht trennen, auch als "gestrig" zu benennen.
Sie kann sich an der Emanzipation transsexueller Menschen beteiligen und deutlich äussern, dass sie transsexuelle Menschen für existent erachtet. Sie kann klar machen, dass sie nicht dulden wird, wenn transsexuelle Menschen als widernatürlich bezeichnet werden, selbst dann, wenn diese Ansicht der Deutsche Ethikrat vertritt. Sie kann sich davon distanzieren wenn baden-württembergische Gerichte transsexuelle Menschen zu Gutachten zwingen, in denen "entsprechende Kleidung, Aufmachung und Auftretensweise" als nötig für eine rechtliche Anerkennung angesehen werden, selbst dann, wenn das Bundesverfassungsgericht das für völlig in Ordnung erachtet.
Eine grün-rote Landesregierung kann mutig sein. Sie kann so mutig sein, wie diejenigen, die sie gewählt haben. Dass sie heute einen transsexuellen Menschen sprechen lässt, gibt Hoffnung, dass dieser Mut vorhanden ist. Wenn dieser Mut bleibt und dieser auch in die Umsetzung des Aktionsplans für Gleichstellung hineinstrahlt, ist es fein. Und es gibt ja erste Anzeichen dafür, dass dies so sein wird.
Erlauben Sie mir darauf hinzuweisen, dass Vielfalt natürlich dann am Besten durchgesetzt werden kann, wenn sich diese dann auch öffentlich widerspiegelt. Genauso wie es mehr als den LSVD als Vertretung für Lesben und Schwule gibt, rund 40 Vereine und Initiativen hatten sich ja an der Landesliste zum Aufbau eines Gleichstellungsrates in Baden-Württemberg beteiligt und der LSVD war hier ein Verein neben vielen, genauso gibt es auch mehr geschlechtlich von der Norm abweichende Menschen. Eben auch transsexuelle Menschen. Aber ich will hoffnungsvoll sein, dass die Teilnahme einer transsexuellen Frau heute ein Signal sein wird.
Wenn sich dann aus diesem Signal das entwickelt, worauf transsexuelle Menschen seit den 70er-Jahren warten, nämlich geschlechtliche Selbstbestimmung, dann ist’s noch besser.
Schliessen möchte ich, indem ich nocheinmal eine Aussage von Stonewall-Vereranin Silvia Rivera zitiere:
"Ihr habt uns all die Jahre wie Mist behandelt? Jetzt sind wir dran."
Vielen Dank.“
Links:
Staatsministerium Baden-Württemberg (auch Quelle des Gruppenbildes)
Winfried Kretschmann betonte in seiner Rede, wie wichtig eine diskriminierungsfreie Gesellschaft sei und dass sich die Landesregierung dafür stark machen wolle. Neben Winfried Kretschmann kamen Vertreter des LSVD zu Wort, sowie Kim Schicklang, die Vorsitzende von ATME e.V.
Schriftliche Rede von Kim Anja Schicklang (Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V. / ATME):
„Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,
liebe Regierungsmitglieder,
liebe Abgeordnete des Landtags,
liebe Anwesende.
Herzlichen Dank dafür, dass ich heute hier stehen kann, um eine Rede zu halten.Herzlichen Dank, dass ich damit die Chance eingeräumt bekomme, daran zu erinnern, dass neben Schwulen und Lesben auch noch andere Menschen existieren, die aus dem heteronormativen Raster der geschlechtlichen Fremdbestimmung fallen. Neben Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender-Personen (also denen, die eine bestimmte Geschlechtsrolle einnehmen wollen), und intersexuellen Menschen, gibt es auch noch...
Transsexuelle Menschen. Menschen, die auf Grund ihrer Anatomie nach der Geburt beispielsweise dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden, obwohl sie Jungs sind - oder Menschen, zu denen die Hebamme sagt, wenn sie zwischen die Beine des Kindes schaut: "Du bist ein Junge", obwohl es sich um ein Mädchen handelt.
Immer noch wird so getan, als gebe es transsexuelle Menschen nicht. Zumindest nicht als das, was transsexuelle Menschen - spätestens mit dem Coming Out - selbst über sich wissen: geschlechtlich von einer gesellschaftlichen Norm abweichend geboren worden zu sein.
Es gibt in Baden-Württemberg mehrere Selbsthilfegruppen und Vereine transsexueller Menschen – in der Öffentlichkeit nimmt aber kaum jemand davon etwas wahr.
Woher kommt das? Erlauben Sie mir einen Blick in die Vergangenheit.
Wenn die Geschichte der Emanzipationsbewegung von Schwulen und Lesben erzählt wird, so geht es in dieser immer auch um den sogenannten Stonewall-Riot, eine Auseinandersetzung um die Bar “Stonewall Inn” in einer schwülen Sommernacht 1969. Die Besucher der Bar liessen sich nicht länger gefallen, dass die Polizei sie demütigt und erniedrigt, gingen auf die Strasse und wehrten sich.
Der 28. Juni 1969 markiert den Zeitpunkt an dem Menschen, die bis dahin als pervers, krank und widernatürlich galten, sich selbst die Würde zukommen liessen, die andere ihnen bis dahin verwehren wollten. Sie erhoben ihr Haupt und machten klar, dass sie die Fremdbestimmung nicht länger ertragen wollen.
Daraus entstand dann weltweit das, was wir heute als “gay pride”-Märsche oder in Deutschland als “Christopher Street Day” kennen.
Wenn die Geschichte der Vorkommnisse 1969 in New York erzählt wird, wird aber meist eines vergessen: Es war, so ist es überliefert, eine transsexuelle Frau, die den ersten Stein warf. Sie hiess Silvia Rivera, war damals 17 Jahre alt und äusserte sich später zu den Riots folgendermassen:
"Wir wollten uns diesen Scheiss nicht länger gefallen lassen. Die Zeit war reif."
Transsexuelle Menschen waren also massgeblich dafür verantwortlich, dass so etwas wie ein CSD überhaupt gefeiert werden kann.
Leider gehört aber auch zur Geschichte, dass diese Tatsache häufig genauso verschwiegen wird - wie auch die Existenz transsexueller Menschen an sich genauso gerne ignoriert wird. Werden transsexuelle Menschen irgendwo miterwähnt, dann meistens indem ihr geschlechtliches Selbstwissen als Phantasie, Befindlichkeit oder als psychische Störung definiert wird. Transsexuelle Frauen werden bis heute als Männer, die in der Frauenrolle leben wollen dargestellt und transsexuelle Männer müssen sich Gefallen lassen, als Frauen zu gelten, die als Mann leben wollen. Selbst in Schwul-Lesbischen Kreisen hat sich noch nicht überall herumgesprochen, dass beispielsweise transsexuelle Frauen keine verkleideten Männer sind, sondern durchaus ein genauso klares Wissen über ihre Geschlechtszugehörigkeit besitzen, wie Schwule und Lesben über ihre sexuelle Orientierung.
Dass transsexuelle Menschen noch heute, gut 30 Jahre nachdem Homosexualität aus dem internationalen Manual der psychischen Störungen gestrichen wurde, immer noch als psychisch krank gelten, ist ... und das muss auch mal laut gesagt werden... ein Skandal. Es ist ein Skandal der streng verknüpft ist mit dem Verschweigen, dem Ignorieren und dem Ausblenden transsexueller Menschen aus der Gesellschaft:
Wer verschweigt, dass transsexuelle Menschen mit zur Geschichte der CSDs gehören, macht sich mitschuldig daran, dass transsexuelle Menschen bis heute immer noch gedemütigt, von Psychiatern und Psychoanalytikern missbraucht und mittels Gesetzen wie dem Transsexuellengesetz von der Teilhabe am normalen gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden können. Es macht sich schuldig, weil er weg sieht.
Dieses Wegsehen ist der Grund dafür, warum auch hier in Baden-Württemberg täglich Menschenrechtsverletzungen an transsexuellen Menschen stattfinden können.
Da gibt es psychiatrische Gutachten, zu denen transsexuelle Menschen gezwungen werden um als sie selbst anerkannt zu werden. Aber nur, wenn sie zugeben, dass ihr geschlechtliches Selbstwissen widernatürlich ist. Psychischer Missbrauch bis hin zur sexuellen Nötigung – in mancher Stadt in Baden-Württemberg ist dies völlig normal, dass transsexuelle Menschen dies auf sich nehmen, um Papiere zu erhalten, die ihrem eigentlichen Geschlecht entsprechen.
Da gibt es ein Gesundheitssystem, in dem Krankenkassen transsexuellen Menschen medizinische Leistungen erst dann gewähren, wenn alle anderen Versuche einen transsexuellen Menschen psychisch zu heilen gescheitert sind. Auch in Baden-Württemberg gibt es diese Form der Umpolungstherapien, die auf Thesen sogenannter “Sexualwissenschaftler” basieren, die transsexuelle Frauen für psychisch kranke Männer und transsexuelle Männer für psychisch kranke Frauen halten.
Zur Erinnerung:
Transsexuelle Frauen, sind keine Männer, die als Frauen leben wollen, sondern Frauen.
Transsexuelle Männer, sind keine Frauen, die als Männer leben wollen, sondern Männer.
Das zu Akzeptieren sollte einfach sein. Doch leider ist es das für viele Menschen nicht.
Auch wenn mittlerweile jedem klar sein dürfte, dass die Teilung in natürliche und widernatürliche Menschen immer eine massive Menschenrechtsverletzung zur Folge haben muss, so scheint ausgerechnet das Wissen um die Verbrechen geschlechtlicher Fremdbestimmung, wenn es um transsexuelle Menschen geht, plötzlich nicht mehr vorhanden.
Kein halbwegs aufgeklärter Mensch würde heute noch behaupten, ein homosexueller Mensch sei biologisch heterosexuell und verhielte sich “wider die Natur”. Gut, es gibt immer noch geistig Verwirrte, die an diese Trennung zwischen objektiver Natürlichkeit und subjektivem, widernatürlichen Verhalten glauben... aber zumindest ist mittlerweile klar geworden, was tatsächliche Realität und was Ideologie ist und wer hier auf welcher Seite steht. Jahrzehnte seit dem ersten Stonewall-Riot, dem der selbstbewusste Schritt von Lesben und Schwulen in die Öffentlichkeit folgte, haben erreicht, dass heute klar ist, dass der, der homosexuelle Menschen für geistig krank hält, und Homosexualität für ein widernatürliches Verhalten von eigentlich hetereosexuellen Menschen, der eigentlich Kranke ist, weil er nicht in der Lage ist, oder davor Angst hat, die Vielfalt der Welt in der er lebt, wahrzunehmen oder zu akzeptieren.
Bei Transsexualität aber - und das ist auch eine Folge des Verschweigens der Anliegen transsexueller Menschen – wird bis heute so getan, als gebe es eine objektive Natur und ein subjektiv gegen die Natur gerichtetes Empfinden transsexueller Menschen.
Wenn jemand äussert, eine transsexuelle Frau sei ein “biologischer Mann”, der sich als “Frau empfindet” bleibt der gesellschaftliche Aufschrei bis heute aus. Wenn jemand sagt, ein transsexueller Mann sei eine “biologische” Frau, die in der “Männerrolle” leben will, dann löst das immer noch keine Entrüstung aus. Die Trennung zwischen objektiv richtig – und subjektiver, gefühlter Abweichung – bei Transsexualität wird dieses Prinzip geschlechtlicher Fremdbestimmung immer noch als gültig angesehen.
Simone de Beauvoir hat zu Recht, als sie 1949 das Buch "Das andere Geschlecht" geschrieben hat, darauf hingewiesen, dass das "andere", das über das "eine" definiert wird und nicht als eigenständig wahrgenommen wird, sondern nur als Anhängsel, automatisch weniger Rechte bekommt. Ja es bekommt noch nicht einmal das Recht zugestanden, zu existieren.
Folgendes Zitat ist also von Simon de Beauvoir:
"Genau das passiert dem kleinen Mädchen, wenn es die Welt kennenlernt und sich darin als Frau erfasst. Die Sphäre, der es angehört, ist allseits vom männlichen Universum umschlossen, begrenzt und beherrscht: So hoch es sich auch recken mag, so weit es sich zu entfernen wagt, über seinem Kopf wird immer eine Decke sein, immer werden Wände ihm den Weg versperren. Die Götter des Mannes befinden sich in einem so unerreichbar fernen Himmel, dass es eigentlich keine Götter für ihn gibt. [...]"
Ich zitiere weiter:
"Diese Situation ist nicht einzigartig: Es ist auch die der Schwarzen in Amerika, teilweise in eine Zivilisation integriert, in der sie dennoch als minderwertige Kaste gelten. [...] Der grosse Unterschied besteht darin, dass die Schwarzen ihr Los mit Empörung erleiden [...] während die Frauen zur Komplizenschaft aufgefordert werden."
Simone De Beauvoir nennt das "unauthentisches Verlangen nach Selbstaufgabe und Flucht".
Genau diese Selbstaufgabe ist für transsexuelle Menschen in Deutschland heute noch verpflichtend. Sie werden gezwungen, sich einer von vermeintlich nicht-transsexuellen Menschen definierten Welt unterzuordnen und stellen fest: Hier darfst Du nur als Befindlichkeit als "Jemand der sich so fühlt" existieren, ohne dass man bereit wäre dir das Recht auf echte Existenz zu gewähren.
Transsexuelle Menschen leben in einer Welt, in der ihre Selbstaussagen über ihre Geschlechtszugehörigkeit als reine Befindlichkeit, als Gefühl sich "anders zu fühlen", wie die normalen Menschen, definiert ist. Transsexuelle Menschen werden so zu widernatürlichen Wesen, die sich nicht innerhalb der normalen Welt bewegen wollen, sondern deren Wunsch es ist, von dieser als normal behaupteten Welt abzugrenzen.
Ich möchte dazu einen Text aus dem Jahr 2012 zitieren. Er ist ein Beispiel, wie transsexuelle Menschen immer noch das eben angesprochene Recht auf Existenz verwehrt wird. Es heisst hier:
"Im Gegensatz dazu sind Transsexuelle Menschen mit einem eindeutigen biologischen Geschlecht, die sich jedoch psychisch dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen und deshalb für sich oft medizinische Eingriffe zur Anpassung ihres Körpers an das psychische Geschlecht wählen und ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister entsprechend den Möglichkeiten des Transsexuellengesetzes ändern lassen"
Dieses Zitat ist keines, das bislang von der Politik als rechtskonservativ und rückständig erkannt wurde.
Obwohl es transsexuelle Menschen zu widernatürlichen erklärt, gibt es Politiker die diese Ungeheuerlichkeit für bare Münze nehmen. Wer die "eindeutige Biologie" behauptet, die ich gerade zitiert habe, ist aber nicht irgendwer, sondern es handelt sich um den Deutschen Ethikrat und einem Ausschnitt aus der Stellungnahme über Intersexualität vom 23. Februar 2012.
Diese Widernatürlichkeitsbehauptung stellt quasi die Grundlage dar, auf der transsexuelle Menschen bis heute fremdbestimmt werden. Meist folgt dann darauf der nächste Schritt: Wenn jemand als widernatürlich definiert ist, dann darf ihm nur unter bestimmten Bedingungen geholfen werden. Dann hilft man ihm nur, wenn er sich in den Augen dessen, der die Normalität definiert, möglichst widernatürlich verhält - und das dann auch beweisen kann.
So komme ich zum nächsten Zitat:
"Für ein Leben des Betroffenen im anderen Geschlecht ist eine Angleichung seiner äußeren Erscheinung und Anpassung seiner Verhaltensweise an sein empfundenes Geschlecht erforderlich. Dies wird zunächst nur durch entsprechende Kleidung, Aufmachung und Auftretensweise herbeigeführt, um im Alltag zu testen, ob ein dauerhafter Wechsel der Geschlechterrolle psychisch überhaupt bewältigt werden kann."
Nicht nur, dass hier sogar der Begriff "anderes Geschlecht" auftaucht und somit sogar die verwendeten Buchstaben als niedergeschriebene Fremdbestimmung auch Platz in Simone de Beauvoirs Buch "Das andere Geschlecht" hätten finden können, wenn es 2012 veröffentlicht worden wäre und nicht 1949.
Es ist zugleich äusserst fragwürdig, wie auch heute noch jemand die Ansicht vertreten kann, dass man Menschen dazu zwingen darf, bestimmte äussere Erscheinungen und Verhaltensweisen anzunehmen, um ihm erst dann so etwas wie bestimmte Rechte zuzugestehen.
Auch dieses Zitat von eben wurde bislang von der Politik wenig kritisiert, stammt es doch vom Bundesverfassungsgericht und einem Entscheid über Transsexualität aus dem Jahr 2010.
So verwundert es kaum, dass transsexuelle Menschen heute noch als das "andere Geschlecht" gelten, und sich erst gefallen lassen müssen, sich dem "einen" unterzuordnen. Und wer sich als transsexueller Mensch in Deutschland nicht damit einverstanden erklärt sich zu einem unbiologischen, also widernatürlichen Menschen erklären zu lassen, der darf in Deutschland auch keine Rechte erhalten.
Es gibt sogar immer noch Gesetze wie das Transsexuellengesetz, das auf dieser Widernatürlichkeitsthese transsexueller Menschen basiert, und Politiker in Bund und Ländern unterstützen diese Thesen häufig sogar noch.
(Ich erinnere mich daran, wie jemand aus der Politik beim CSD 2010 in Stuttgart meinte, ein transsexuelles Mädchen sei ein “Junge, der sich wie ein Mädchen fühlt”. Gut, die Partei dieses Menschen regiert in BW nun nicht mehr... vielleicht klärt sich so manches von ganz alleine...)
Entrüstung darüber (über die Trennung zwischen pseudo-objektiver Wahrheit und behauptetem subjektivem unnatürlichen Empfinden) konnte man bislang nur von transsexuellen Menschen hören - und da auch nur vereinzelt.
Auch dazu hat Simone De Beauvoir etwas geschrieben:
"Die Theorien, die das Hervortreten der Frau als Fleisch, Leben, Immanenz, als das Andere verlangen, sind männliche Ideologien, die in keinster Weise weibliche Forderungen ausdrücken. Die Mehrzahl der Frauen schickte sich in ihr Los, ohne irgendeinen Versuch zum Handeln zu machen; diejenigen, die es zu verändern suchten, hatten nicht die Absicht, sich auf ihre Eigenart zu versteifen und durchzusetzen, sondern sie zu überwinden. Wenn sie in den Lauf der Welt eingegriffen haben, geschah es im Einverständnis mit den Männern und mit männlichen Perspektiven".
Im gewissen Sinne trifft diese Aussage von Simone De Beauvoir auch auf die Geschichte transsexueller Menschen zu. So waren in Vergangenheit die meisten transsexuellen Menschen dazu bereit still zu sein, um vermeintliche Vorteile zu geniessen, die ihnen nicht-transsexuelle Menschen zukommen liessen. Die Komplizenschaft, die Simone De Beauvoir angesprochen hat, gibt es auch bei transsexuellen Menschen. Und es ist immer praktisch wenn eine Gesellschaft der Herrschenden solche Komplizen findet. Denn wer hört dann noch auf diejenigen, die sich nicht zum Komplizen machen wollen?
Die Emanzipierten, die ihr transsexuelles Coming Out so ernst nemen, da sie wissen, dass ein "ich bin" mehr Wert ist, als die Beurteilung eines Angehörigen oder Komplizen der herrschenden Kaste - eben der Kaste, die transsexuelle Menschen immer noch für widernatürlich hält - ... diese Emanzipierten wurden in Vergangenheit nicht all zu oft berücksichtigt.
Ich habe das Gefühl dass jetzt langsam die Zeit gekommen ist, in der sich das ändern wird. Nämlich deswegen, weil immer mehr transsexuelle Menschen sich emanzipieren und nicht mehr um Berücksichtigung betteln, sondern wissen, dass sie auch ohne Entscheidung eines Herrschenden existieren.
Vielleicht ist die Zeit ja tatsächlich reif für die Emanzipation transsexueller Menschen?
Es ist schön, dass endlich einmal eine Landesregierung hier den Mut zeigt, transsexuelle Menschen nicht auf der Einladung zu vergessen und sogar den Willen zeigt, die Menschenrechtsverletzungen an transsexuellen Menschen öffentlich zu machen, um sie zu beenden.
Es ist schön, dass wir hier in Baden-Württemberg ein paar Menschen haben, welche sich auch zum Ziel gesetzt haben, die Fremdbestimmung an transsexuellen Menschen zu beenden.
Erlauben sie mir ein paar Beispiele, was eine Landesregierung tun kann, um die Situation transsexueller Menschen zu verbessern:
- sie kann dafür sorgen, dass transphobe Wissenschaft – oder besser Pseudo-Wissenschaft, die transsexuelle Menschen als psychisch krank erachtet – nicht mehr von Landesgeldern finanziert wird
- sie kann erreichen, dass an Schulen und Hochschulen über Transsexualität aufgeklärt wird.
- sie kann zusammen mit Landesärztekammern und Krankenkassen unter Beteiligung transsexueller Menschen ethische Leitlinien bei der medizinischen Versorgung transsexueller Menschen entwickeln.
- sie kann Anlaufstellen für transsexuelle Kinder einrichten und diesen Kinderanwälte zur Seite stellen, damit ihre Rechte und ihre geschlechtliche Selbstbestimmung gewahrt wird
- sie kann sich auch über den Bundesrat und die Verbindungen zu Bundestagsabgeordneten ein deutliches Zeichen zur Abschaffung des Transsexuellengesetzes setzen
Und vor allem kann eine Landesregierung transsexuellen Menschen zuhören. Sie kann selbst die künstliche Trennung zwischen angeblicher "Biologie" einerseits und behaupteter Befindlichkeit andererseits hinterfragen, sie kann kritisieren, wenn aus solchen Weltanschauungen Diskriminierung entsteht und mit dazu beitragen, dass andere Wahrheiten auch zugelassen werden.
Es gibt die Trennung zwischen echtem und falschem, zwischen biologischem und widernatürlichem Geschlecht nicht. Diese Trennung ist künstlich. Diese Trennung ist ledglich Machtinstrument einer Welt, in der geschlechtliche Abweichungen nicht existieren sollen. Es ist ein Welt, in der homosexuelle Menschen, intersexuelle Menschen und transsexuelle Menschen weniger Rechte haben sollen, weil man sagt, dass es da etwas gibt, was euch von den "normalen", den biologisch existenten Menschen unterscheidet.
Wenn eine transsexueller Frau sagt, sie sei eine Frau, dann ist sie eine.
Wenn ein transsexueller Mann sagt, er sei ein Mann, dann ist er einer.
Die Landesregierung kann vor allem daran mitarbeiten diese ewiggestrigen Ansichten, die zwischen biologisch echtem und widernatürlich unechtem (weil ja nur “gefühlten”) Geschlecht trennen, auch als "gestrig" zu benennen.
Sie kann sich an der Emanzipation transsexueller Menschen beteiligen und deutlich äussern, dass sie transsexuelle Menschen für existent erachtet. Sie kann klar machen, dass sie nicht dulden wird, wenn transsexuelle Menschen als widernatürlich bezeichnet werden, selbst dann, wenn diese Ansicht der Deutsche Ethikrat vertritt. Sie kann sich davon distanzieren wenn baden-württembergische Gerichte transsexuelle Menschen zu Gutachten zwingen, in denen "entsprechende Kleidung, Aufmachung und Auftretensweise" als nötig für eine rechtliche Anerkennung angesehen werden, selbst dann, wenn das Bundesverfassungsgericht das für völlig in Ordnung erachtet.
Eine grün-rote Landesregierung kann mutig sein. Sie kann so mutig sein, wie diejenigen, die sie gewählt haben. Dass sie heute einen transsexuellen Menschen sprechen lässt, gibt Hoffnung, dass dieser Mut vorhanden ist. Wenn dieser Mut bleibt und dieser auch in die Umsetzung des Aktionsplans für Gleichstellung hineinstrahlt, ist es fein. Und es gibt ja erste Anzeichen dafür, dass dies so sein wird.
Erlauben Sie mir darauf hinzuweisen, dass Vielfalt natürlich dann am Besten durchgesetzt werden kann, wenn sich diese dann auch öffentlich widerspiegelt. Genauso wie es mehr als den LSVD als Vertretung für Lesben und Schwule gibt, rund 40 Vereine und Initiativen hatten sich ja an der Landesliste zum Aufbau eines Gleichstellungsrates in Baden-Württemberg beteiligt und der LSVD war hier ein Verein neben vielen, genauso gibt es auch mehr geschlechtlich von der Norm abweichende Menschen. Eben auch transsexuelle Menschen. Aber ich will hoffnungsvoll sein, dass die Teilnahme einer transsexuellen Frau heute ein Signal sein wird.
Wenn sich dann aus diesem Signal das entwickelt, worauf transsexuelle Menschen seit den 70er-Jahren warten, nämlich geschlechtliche Selbstbestimmung, dann ist’s noch besser.
Schliessen möchte ich, indem ich nocheinmal eine Aussage von Stonewall-Vereranin Silvia Rivera zitiere:
"Ihr habt uns all die Jahre wie Mist behandelt? Jetzt sind wir dran."
Vielen Dank.“
Links:
Staatsministerium Baden-Württemberg (auch Quelle des Gruppenbildes)