AK TSG-Reform: Die Richtung stimmt

Der so genannte Arbeitskreis TSG Reform veröffentlichte am 26.06. ein "Forderungspapier zur Reform des Transsexuellenrechts", das viele Forderungen enthält, die auch ATME seit ihres Bestehens fordert. Darüber sind wir sehr erfreut.

Was wir uns noch wünschen würden und bislang in unseren Forderungen leider unerwähnt ist, sind stärkere Rechte für Kinder und Jugendliche.
Im neuen argentinischen Gesetz werden im Paragraph 5 die Rechte von Minderjährigen hervorgehoben:
"Außerdem muss der/die Minderjährige durch einen Anwalt für das Kind […] unterstützt werden. Wenn sich aus irgendeinem Grund der/die gesetzliche Vertreter eines Minderjährigen weigert/weigern oder nicht in der Lage ist/sind, die Zustimmung [zu einer Namens- und/oder Personenstandsänderung] zu geben, können sie auf ein rechtliches Eilverfahren [...] zurückgreifen".

Wie wir alle wissen, wurden bislang besonders die Rechte transsexueller Kinder in Deutschland mit Füßen getreten und diese nicht selten in eine Therapie mit versuchter Umpolung gezwungen. ATME hat dazu eine ausführliche Stellungnahme verfasst. Kinder müssen ganz besonders vor Missbrauch und Psycho-Scharlatanen geschützt werden, was eine frühzeitige Namensänderung und Änderung des Geschlechtseintrages bewerkstelligen könnte.
Doch dies ist leider in Deutschland nicht einmal angedacht, so dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, bis alle transsexuellen Menschen unabhängig ihres Alters in den vollen Genuss ihrer Menschenrechte gelangen. Auch das "Forderungspapier zur Reform des Transsexuellenrechts“ des Arbeitskreises TSG-Reform erwähnt leider diese Rechte des Kindes nicht.

Zudem sind die Forderungen, obwohl sie einen Schritt in die richtige Richtung darstellen, leider nicht konsequent genug umgesetzt und gehen nicht weit genug. So wird das Diagnoseverfahren durch Psychologen, Psychiater und Ärzte, einschließlich der Begutachtungspraxis durch den MDK, gestärkt, statt kritisiert. Doch gerade hier geschehen die meisten Demütigungen und Erniedrigungen transsexueller Menschen. Diese Stärkung macht es uns leider unmöglich, das Papier zu unterzeichnen (siehe CAT-Bericht).
So heißt es in dem Papier: "Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen bei geschlechtsangleichenden Maßnahmen soll ‐ wie bisher auch ‐ allein an die entsprechende medizinische Indikation gebunden und – ebenfalls wie bisher ‐ unabhängig von den rechtlichen Verfahren bestehen.“ Und in der Anlage zum TSG Papier ("Stellungnahme zum Transsexuellengesetz aus psychiatrischer Sicht“), die (noch) nicht veröffentlich wurde und der man mit der Unterzeichnung gleichfalls unserer Ansicht nach zustimmt, steht: "Diese Stellungnahme bezieht sich nur [Anm.: Hervorhebung im Original!] auf die Begutachtung der Psychiatrie im Rechtsweg, die nicht mit der medizinischen Indikation [...] zu verwechseln ist.“ Und weiter heißt es: "Für die Kostenübernahme durch die Krankenkassen und als medizinische Indikation für körperliche Maßnahmen (gegengeschlechtliche Hormonbehandlung, operative Eingriffe, etc.) ist minimal ein Gutachten erforderlich, das - nach aktuellen Leitlinien - im Rahmen eines psychiatrisch und/oder psychotherapeutischen Behandlungsprozesses erarbeitet werden soll.“ Damit rechtfertigt der AK TSG-Reform psychiatrische Gutachten (und mehr). Dem können wir nicht zustimmen.

Dennoch, ein Anfang ist getan, der Kurs ist korrigiert und notwendige Veränderungen sind ins Bewusstsein vorgedrungen. Sie sollten jedoch noch konsequent durchdacht werden.

Links
"Forderungspapier zur Reform des Transsexuellenrechts" des AK TSG-Reform.
Die Forderungen von ATME
Die Stellungnahme an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von ATME

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Ergänzung von Kim Schicklang, 1. Vorsitzenden von ATME e.V.:

Auf Grund von aktuellen Rechercheergebnissen ist vor blinder Unterstützung des Papiers "Forderungspapier zur Reform des Transsexuellenrechts" des unter Federführung von triQ in Berlin initiierten Arbeitskreises TSG-Reform zu warnen. Es ist zu befürchten, dass die Psychopathologisierung von Menschen mit geschlechtlichen Normabweichungen durch dieses Papier erweitert werden kann. Diese Bedenken müssen ernst genommen werden.

"Transsexualismus" ist im Sozialgesetzbuch 5 bisher unter dem Bereich "§ 116b Ambulante spezialfachärztliche Versorgung" zu finden und wird bislang vom Gemeinsamen Bundesausschuss noch als "Fehlbildung" angesehen. Daraus leitet sich die Behandlung im Krankenhaus, also die Leistungspflicht der Krankenkassen bei genitalen Operationen, ab.

Im SGB 5 heisst es (Stand Juli 2012):

"Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt in einer Richtlinie bis zum 31. Dezember 2012 das Nähere zur ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung nach Absatz 1. Er konkretisiert die Erkrankungen nach Absatz 1 Satz 2 nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der jeweiligen vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen deutschen Fassung oder nach weiteren von ihm festzulegenden Merkmalen und bestimmt den Behandlungsumfang."

Im Gemeinsamen Bundesausschuss melden sich u.a. auch sogenannte "Fachverbände" zu Wort. Einer dieser Lobbygruppen, die immer irgendwo mitmischen, ist die "Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung", deren Vorsitzende Hertha Richter-Appelt vom UKE Hamburg Transsexualität für eine psychische Befindlichkeit namens "Gender Dysphorie" hält. (Auch der Frankfurter Bernd Meyenburg hält transsexuelle Menschen für einen Wunsch und schreibt beispielsweise noch im Mai 2012 in korasion Nr. 2 von "Störungen der Geschlechtsidentität")

In einer Antwort des Hamburger Senats auf eine schriftliche Anfrage der Abgeordneten Martina Kaesbach zur Situation transsexueller Menschen in Hamburg vom Februar 2012 ist zu lesen:

"Ein weiterer Ausbau der Behandlungsmöglichkeiten wird hier über die mit dem GKV-Versorgungstrukturgesetz eingeführte ambulante spezialärztliche Versorgung nach § 116b SGB V angestrebt, die gemäß § 116b Absatz 1 Satz 2 Nummer 2. lit. i) SGB V auch den Bereich Transsexualismus erfasst – zunächst müssen allerdings die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 116b Absatz 4 Satz 1 SGB V hierfür vorliegen. Um die notwendigen Behandlungsmaßnahmen im Laufe einer trans-sexuellen Entwicklung bedarfsgerecht „aus einer Hand“ umsetzen zu können, ist unter der Initiative des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie bereits eine enge UKE-weite Kooperation zwischen den beteiligten Disziplinen (Sexualmedizin, Psychotherapie, Endokrinologie, Urologie, Gynäkologie) in Vorbereitung."

Was hat das mit dem AK TSG-Reform zu tun?

In dem Papier heisst es:

"Hierzu soll im Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) der Fünfte Abschnitt des Dritten Kapitels dahingehend erweitert werden, dass bei vorliegender Indikation für medizinische Maßnahmen die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet sind, die Kosten für alle medizinisch notwendigen Leistungen [...] zu übernehmen. [...] Vornamens- und Personenstandsänderung allein begründen noch keinen Anspruch auf medizinische geschlechtsangleichende Maßnahmen"

Selbst wenn an dem Papier des AK TSG-Reform Menschen gearbeitet haben, die es gut meinen, ist der Link zu psychopathologisierender Fremdbestimmung hiermit gelegt. Eine gemeinsame "vorliegende Indikation", die auch nach Vornamens- wie Personenstandsänderung als "Geschlechtsdysphorie"-Diagnose gestellt würde, sollte man immer ablehnen. Eine Fortführung der ungleichbehandlung nicht-transsexueller und transsexueller Menschen - und somit geschlechtliche Fremdbestimmung durch die Psycho-Medizin - ist ein Verstoss gegen Menschenrecht.

Man tut gut daran, sich von jeder Brücke zu erneuter Psychopathologiserung zu distanzieren und vor dem Lobbyismus von sogenannten "Fachverbänden" aus dem Bereich der Sexualwissenschaft warnen, die bestrebt sind, den Begriff "Gender Dysphorie", der bereits in den 70er-Jahren erfunden wurde, wieder aus der Mottenkiste der Medizingeschichte zu holen um damit erneut transsexuelle Menschen geschlechtlich fremd zu bestimmen.

Die Hauptfordungen des Papiers (Abschaffung der menschenrechtswidrigen TSG-Begutachtungspraxis etc.) sind gut. Leider hat sich aber darin auch ein trojanisches Pferd versteckt.