Transphobe Rapper? Ein offener Brief.

Ein offener Brief an Chimperator Productions, einem Stuttgarter Label. Thema: Der transphobe Song "Horst und Monika".

Liebe Leute von Chimperator Productions,

als Menschenrechtsorganisation, welche sich für die Rechte von transsexuellen Menschen einsetzt, wenden wir uns heute in einem offiziellen Brief an Euch. Thema ist das Lied "Horst und Monika" von den Orsons, welches ein klischeebeladenes und menschenverachtendes Bild von Menschen, die als geschlechtliche Normvarianten geboren werden, zeichnet. Oder im Klartext: "Horst und Monika" beleidigt, demütigt und hetzt gegen transsexuelle Menschen. War euch das vielleicht gar nicht bewusst?

Transsexualität ist sicher ein Thema, das in letzter Zeit in ist und in Boulevardmedien häufiger thematisiert wird. Auffällig ist dabei, dass meist transsexuelle Menschen selbst nicht zu Wort kommen, sondern Aussenstehende das Bild über transsexuelle Menschen zeichnen. Es ist trauriger Fakt, dass transsexuelle Menschen in Deutschland meist als Belustigung und als Freakshow dienen, anstatt ihnen eine respektvolle Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, und nur wenig darüber bekannt ist, dass sowohl die staatlich verordnete gesetzliche wie medizinische Diskriminierung zu massiven Menschenrechtsverletzungen an Menschen mit geschlechtlichen Normabweichungen führen. Transsexuelle Menschen werden von Ewiggestrigen immer noch als psychisch krank angesehen und als Menschen erachtet, die den Wunsch haben, ihr Geschlecht zu ändern. Auch in der Öffentlichkeit werden transsexuelle Frauen in Deutschland oft nicht als Frauen, sondern nur als Männer angesehen, die in der Frauenrolle leben wollen und transsexuelle Männer nicht als Männer, sondern als Frauen, die in der Männerrolle leben wollen. Transsexuelle Menschen verlieren immer noch häufig ihre Jobs, Freunde und Bekannte, weil sie transsexuell sind. Weil ewiggestrige Menschen die Märchen von der "Geschlechtsumwandlung" glauben.

Historisch immer noch nicht aufgearbeitet ist dabei die Rolle, welche die Psychiatrie seit den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts und zugleich die Ideen der sogenannten "sexuellen Revolution" der 60er-Jahre zu dieser Sichtweise beigetragen haben. Bis heute hält sich bei manchen Menschen die Idee hartnäckig, dass mit chirurgischen Mitteln das Geschlecht eines Menschen geändert werden könne. Geschlecht wird bis heute als oft binär angesehen, als Adam-Eva-Ordnungsprinzip, obwohl seit den 20er Jahren bekannt ist, dass geschlechtliche Normabweichungen existieren. Der jüdische Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld dokumentierte in seinen "Jahrbüchern der sexuellen Zwischenstufen" diese biologische Tatsache. Das sexualwissenschaftliche Institut von Hirschfeld wurde in den 30ern von den Nazis zerstört, seine Lehre aus Deutschland verbannt.
Transsexuelle Menschen sah Magnus Hirschfeld als sexuelle Zwischenstufe an und konnte durch seine Forschung belegen, dass das Geschlecht des Menschen nicht streng binär organisiert ist und die Idee geschlechtlicher Eindeutigkeiten mehr mit ideologischen Weltanschauungen zu tun hat, als mit biologischen Tatsachen.

Wir als Menschenrechtsorganisation transsexueller Menschen setzen uns dafür ein, dass transsexuelle Menschen nicht länger als psychisch gestört angesehen werden, sondern als Teil der vielen geschlechtlichen Normvarianten anerkannt werden, die geschlechtliche Realität auch in Deutschland sind. Transsexuelle Frauen sind Frauen, die mit einer geschlechtlichen Variation geboren werden. Transsexuelle Männer sind geschlechtlich normvariante Männer. Es ist daher völlig unsinnig und auch falsch davon auszugehen, dass es so etwas wie "Geschlechtsumwandlungen" gibt. Während des Coming-Outs eines transsexuellen Menschen löst dieser sich von äusseren Geschlechtszuordnungen und anerkennt, welchem Geschlecht er eigentlich zugehört. Dies hat nichts mit "Geschlechtswechsel" zu tun, sondern mit dem Selbsteingeständnis einer geschlechtlichen Normvariante anzugehören. Ein solches Coming-Out in einem Land, in welchem geschlechtliche Stereotypen und geschlechtliche Fremdbestimmung so stark sind, wie in Deutschland, ist ein starker und mutiger Bewusstwerdungsprozess, in welchem sich ein Mensch von der Vorstellung löst, dass eine Frau immer mit Vagina und Gebärmutter geboren werden muss, und ein Mann immer mit einem Penis auf die Welt kommt.

Dieser Bewusstwerdungsprozess wird in Deutschland heute immer noch durch Gesetze wie das deutsche "Transsexuellengesetz" und medizinische (Pseudo-)Diagnosen im Geiste der 30er-Jahre, die sich "Geschlechtsidentitätsstörung" oder "Geschlechtsdysphorie" nennen, behindert. Eine transsexuelle Frau beispielsweise, welche die Chance auf medizinische Hilfe sowie Papiere, die ihr Geschlecht ausweisen, erhalten möchte, muss sich in Deutschland dazu einverstanden erklären, ein "biologischer Mann mit Geschlechtsidentitätsstörung" zu sein, obwohl sie dies nie gewesen ist. Eine transsexuelle Frau war, berücksichtigt man, dass es geschlechtliche Normvarianten in der Natur gibt, weder Mann, noch ist sie "geschlechtsidentitätsgestört".

Wir wissen auch aus der deutschen Geschichte, dass es immer einfacher ist, sich den scheinbar herrschenden Stereotypen und Meinungsdiktaten anzuschliessen, anstatt sich gegen Missbrauch und Diskriminierung von Minderheiten einzusetzen, um die Welt zu einem bunteren, vielfältigeren Ort zu machen. Wir können nachvollziehen, dass die Veröffentlichung von Songs wie "Horst und Monika" der Orsons daher logisch wie konsequent sein muss, wenn ewiggestrige Mediziner wie Psychologen, ja sogar Gesetze in Deutschland so tun, als würde es "Geschlechtsumwandlungen" geben und transsexuelle Menschen "psychisch krank" wären und man sich selbst nicht traut, herrschende Ansichten kritisch zu hinterfragen.
Wir wissen aber auch, dass es viele transsexuelle Menschen gibt, welche die eigentlich mutigen und starken Personen sind, die sich gegen geschlechtliche Fremdbestimmung, Diskriminierung von Psychiatrie und Recht zur Wehr setzen. Sie sind diejenigen, welche die eigentlichen Helden sind. Nicht diejenigen, welche einen Song in fremdbestimmender und menschenverachtender Art und Weise über einen transsexuellen Menschen schreiben, und wieder einmal Transsexualität zweckentfremden.

Wir sind es leid, dass transsexuelle Menschen immer für fremde Zwecke, in diesem Fall von Euch, missbraucht werden. Auch wenn wir auf Grund dessen, dass der Dialog mit transsexuellen Menschen in Deutschland noch nicht begonnen hat und staatliche Normen immer auch auf Teile der Gesellschaft - also eben auch euch - nachwirken, nachvollziehen können, dass ihr selbst an das Weltbild glaubt, in dem es "Geschlechtsumwandlungen" gibt, und daher Songs veröffentlicht, in denen transsexuelle Menschen lediglich Mittel zum Zweck sind, verstehen wir unter Verantwortung die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen, Zwängen und Stereotypen und die Kritik an gestrigem Gedankengut.

Wir wünschen uns, dass Euch klar ist, dass viele transsexuelle Menschen sich von eurem Song beleidigt fühlen. Und wir schreiben diesen Brief, damit niemand wieder einmal sagen kann "wir haben von nichts gewusst".

Herzlicher Gruss,
 
Eure Aktion Transsexualität und Menschenrecht.