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Antiemanzipation - Wenn Körper und Rolle zu einem gemacht werden

Ein wesentliches Merkmal der Frauenbewegung nach dem zweiten Weltkrieg war, sich kritisch mit der Frage zu beschäftigen, ob aus Körpern bestimmte gesellschaftliche Rollen - also das, was wir heute als "Gender" kennen - abgeleitet werden können. Kern der Frauenbewegung der 1950er und 1960er-Jahre war es, sich gegen die Vermischung von Körper und Rolle zur Wehr zu setzen. Heute erleben wir im Zusammenhang mit geschlechtlichen Variationen einen Rollback - von rechts wie links. Die Antiemanzipation findet sich beispielsweise dort wieder, wo nicht von LSBTTIQ gesprochen wird, sondern von LGBTI und ein T vergessen wird.

Sex und Gender sind zweierlei. Dennoch gibt es weltweit Kräfte, die körperliche Variationen als solche nicht anzuerkennen bereit sind. Wenn es Frauen gibt, die körperliche Variationen mitbringen und wissen, dass ihr Körper nicht ihrem Geschlecht entspricht, dann ist das Thema eines mit Körperbezug. Ein abweichendes Körpermerkmal ist "transsexuell" und eben nicht "transgender". "Transgender" bezieht sich auf Gender und "Transsexualität" auf den Sexus des Menschen. Es sind zwei verschiedene geschlechtliche Facetten des Menschen.

Die Gleichsetzung von Sex und Gender ist ein Machtinstrument der Sexualmedizin, die von jeher eine gesellschaftspolitische Aufgabe, nämlich die Ordnung der Geschlechter, wahrgenommen hat. "Ehehygiene" meinte, Menschen in einer Beziehung dazu zu verhelfen, ihre als natürlich behauptete und vom Körper abgeleitete Rolle wahrzunehmen. Frauen wurden als krank bezeichnet, wenn sie sich nicht ihrem Körper gemäss verhielten. Daher stammen Krankheitsbegriffe wie beispielsweise "Frigidität". Auch das Bild der krankhaft "hysterischen Frau" ist ein Teil dieser Verfügbarmachung und Ordnung von Geschlecht durch die Medizin.

Wir müssen uns klar machen, dass die Gleichsetzung von Körper und Rolle noch heute ein Ziel von den Menschen ist, die geschlechtliche Macht ausüben wollen. Wenn Frauen, deren Körper nicht der Norm entspricht, als "Zwischengeschlechter", als "Transgeschlechter" oder einfach nur als Männer bezeichnet und behandelt werden, dann ist dies Teil dieser Machtausübung. Die Umdefinition von Frauen zu Nichtfrauen hat einen gesellschaftspolitischen Hintergrund. So kann leichter Druck auf Frauen insgesamt ausgeübt werden, sich körperlich möglichst einer gewollten Vorstellung von Körpern unterzuordnen. Wer nicht der Körpernorm entspricht, muss ja Angst haben, nicht mehr als Frau zu gelten, sondern sich nur noch als solche zu fühlen (aber keine zu sein).

Gesellschaftliche Normen werden immer zuallererst dort aufgestellt, wo anerkannt werden müsste, dass die Realität vielfältiger ist. Beispielsweise bei Menschen mit Trans- und/oder Intersexualität. Wenn wir uns ansehen, wie dort Sex und Gender vermischt werden, können wir daraus ableiten, wie es um die Gleichberechtigung der Menschen in einer Gesellschaft bestellt ist. Wenn die Sexualmedizin meint, Menschen die ein Wissen über ihren Körper besitzen geschlechtlich umdefinieren zu müssen, um aus Frauen mit körperlichen Variationen per Diagnose Männer oder "Transgeschlechter" mit Genderidentitäts-Problem (Gender-Varianz) machen zu können, dann dient dieser Definitionshoheitsanspruch über Geschlecht nichts weiter als der Verfügbarmachung von Geschlecht und der alten Formel: Du sollst dich verhalten, wie dein Körper.

Wir müssen uns von der Vorstellung frei machen, dass Menschen die ein geschlechtliches Thema (in ihrem eigenen Leben) mitbringen, immer auf der Seite der Menschen stehen, die sich gegen die geschlechtermachtpolitische Gleichsetzung von Sex und Gender, zur Wehr setzen. Häufig ist es genau umgekehrt: Wer sich selber an einer bestimmten Stelle geschlechtlicher Autoritäten befindet, gibt die Fremdbestimmung und Zuweisung von Geschlecht oft an andere weiter. Und das fängt dann damit an, sich zu weigern von LSBTTIQ zu sprechen, sondern auf LSBTI oder LSBT zu verkürzen und damit einen Diskurs über die Verschiedenheit von Körpern und Rolle zu verhindern.

Es würde jedem gut zu Gesicht stehen, sich über diese Machtmechanismen Gedanken zu machen.

Genitalien, Gender und Geschlechtermacht

In einem Text der Geschäftsstelle des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien
der Humboldt-Universität zu Berlin wird Intersexualität mit Intergeschlechtlichkeit gleichgesetzt. Wieder einmal wird dadurch Geschlechtermacht konstruiert und eine Chance auf Anerkennung der Selbstaussagen von Menschen über ihr Geschlecht verhindert.

Eines der hauptsächlichen geschlechterpolitische Machtmittel, um geschlechtliche Normierung zu betreiben, ist die Gleichsetzung von Geschlecht und Genitalien*. Die Geschlechtermacht wird durch Sprache aufrecht erhalten. Aus transsexuellen Menschen (Menschen, die wissen, dass körperliche Merkmale nicht ihrem Geschlecht entsprechen) werden "transgeschlechtliche Menschen", aus intersexuellen Menschen werden "intergeschlechtliche Menschen". Der sichtbare Körper wird als Geschlecht gesetzt, die Abweichung der geschlechtlichen Aussage zur "Gender Varianz".

Die Reproduktion geschlechtlicher Gewalt um herrschende Geschlechtervorstellungen aufrecht zuerhalten, wird damit wieder in die Hände der Medizin gelegt. Genitalien und weitere körperliche Merkmale (*) werden verengend als von Aussen bestimmbarer Sexus behauptet und die Selbstaussagen von Menschen über ihr Geschlecht als "Gender Identität" ausgelagert. Nach dieser Definition kann die Aussage eines Menschen sich nie auf das eigentliche Geschlecht beziehen, sondern nur auf die "Geschlechtsidentität" und Geschlecht wird verfügbar gemacht für Dritte.

Wir kritisieren das. Nicht zum ersten mal.

Der Text heisst: Zur Aktualität kosmetischer Operationen „uneindeutiger“ Genitalien im Kindesalter
(Ulrike Klöppel, Bulletin Texte 42)