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Koalitionsverhandlungen - Brief an FDP und Grüne

Da ja zur Zeit versucht wird, eine Bundestags-Koalition zusammen zu bekommen, haben wir mal einen Text verfasst. Diesen hier:

Sehr geehrte Damen und Herren,

als wichtigste Aufgabe der Politik der nächsten Jahre sehen wir es an, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die medizinische Behandlung von Menschen mit geschlechtlichen Variationen frei von geschlechtlicher Deutung zu bekommen. Dazu gehören zwei Dinge:

  • eine Diagnostik, die nicht weiter Geschlechtsidentität in den Mittelpunkt der Behandlung stellt
  • und die Anerkennung der Angeborenheit und Unveränderbarkeit von Transsexualität
  • eine Reform der Personenstandsgesetze, um Menschen in ihrem Geschlecht ohne Gender-Begutachtung rechtlich anzuerkennen

Die Möglichkeit der selbstbestimmten Änderung der Geschlechtseinträge und Personaldokumente und die medizinische Behandlung sind miteinander verwoben und stehen in Abhängigkeit voneinander. In beiden Fällen wird bisher Geschlecht gedeutet und das Selbstverständnis, das ein Mensch über sich selbst hat, missachtet. Menschen, die ihren Geschlechtseintrag ändern lassen wollen, müssen vor Gericht gehen und ihr Geschlechtsausdruck, bzw. ihr Geschlecht, wird von psychiatrischen Gutachtern bewertet. Bei der medizinischen Behandlung ist das nicht anders. Wünschen Menschen eine Hormonbehandlung oder einen chirurgischen Eingriff, wird ihre Gender-Identität bewertet und gilt – auch bei einer Neufassung der Diagnostik im ICD11 – als Behandlungsgegenstand. Die Angeborenheit und Unveränderbarkeit dieser wird geleugnet.

Medizinische Leitlinien werden nicht von der Politik gemacht. Die Politik kann aber dafür sorgen, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass geschlechtliche Deutung auch in der Medizin beendet wird. Die Abschaffung des sogenannten Transsexuellengesetzes und die Schaffung eines Gesetzes, das allen Menschen ermöglicht selbstbestimmt ihren Geschlechtseintrag korrigieren zu lassen, ist eine dieser Rahmenbedingungen, um die menschenunwürdige Behandlung von Menschen mit geschlechtlichen Variationen zu beenden.


Wie aber wünschen wir uns eine medizinische Versorgung?

Im Jahr 2015 sind Mediziner, Psychologen und Menschen mit Trans- und Intersexualität in Stuttgart zusammen gekommen, um die „Stuttgarter Erklärung“ zu formulieren. Die Erklärung beschreibt einen Neuanfang im Umgang mit Menschen mit geschlechtlichen Variationen. Bei der bisherigen medizinischen Behandlung stand die Vermischung von Sex und Gender im Mittelpunkt und Gender-Identität galt als Behandlungsgegenstand. Die Expertinnen der Stuttgarter Erklärung gehen davon aus, dass es bei einer medizinischen Behandlung nicht um Fragen von Gender-Identität gehen sollte, sondern um eine Konzentration auf das eigentliche medizinische Anliegen und damit auch das Leiden. Menschen mit geschlechtlichen Variationen äussern konkrete medizinische Bedarfe, wie eine Hormonbehandlung oder chirurgische Eingriffe.

Die medizinischen Bedarfe existieren unabhängig der geschlechtlichen Identität oder unterschiedlichen Selbstbezeichnungen (Trans*identitäten). Hat ein Mensch ein „körperliches Lebensthema“, sprechen wir von Transsexualität. Die Existenz des Leidens unter körperlichen Merkmalen bei unterschiedlichsten Identitätsmöglichkeiten kann als Hinweis gesehen werden, dass Identität nicht der Behandlungsgegenstand sein kann, sondern es sich um ein Körperthema handelt.

Die „Stuttgarter Erklärung“ formuliert daher das Ziel, nicht etwa „Geschlechtsidentität“ in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen, sondern das konkrete Leiden. Leidet ein Mensch unter seinen Hormonwerten, so ist es nicht nötig danach zu fragen, als was ein Mensch sich geschlechtlich identifiziert, sondern es reicht aus zu beobachten, ob die Gabe von Hormonen eine Verbesserung des Wohlbefindens eines Menschen zur Folge hat. Das oberste Anliegen eines jeden Mediziners ist, nach der Genfer Deklaration des Weltärztebundes, die Gesundheit des behandelten Menschen. Auch chirurgische Massnahmen sind in erster Linie danach zu bewerten, ob dadurch eine Verbesserung des Gesundheitszustandes eines Menschen, bzw. eine Leidensminderung erreicht werden kann.

Diagnosen, die geschlechtliche Deutung beinhalten, erkennen wir daran, dass Geschlechtsidentitäten und körperliche Notwendigkeiten vermischt oder in einen direkten Zusammenhang gebracht werden. Ein Beispiel dafür ist die geplante Neufassung des ICD 11 und der Reform der „Geschlechtsidentitäts“-Diagnostik in Federführung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung und dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Die Papiere, die bislang (Stand Oktober 2017) von dort veröffentlicht wurden, stellen weiterhin „Trans*identität“ in den Mittelpunkt der medizinischen Behandlung. Aus menschenrechtlicher Sicht ist das abzulehnen.

Menschen mit Transsexualität haben kein Problem mit einer Identität, sie wissen ja wer sie sind, sonst könnten sie sich nicht outen, sondern mit ihrer Transsexualität, also mit von ihrem Geschlecht abweichenden körperlichen Merkmalen.

Ein echter Reformprozess in Sachen medizinischer Behandlung muss zum Kern haben, eine medizinische Behandlung für Menschen mit einer geschlechtlich-körperlichen Thematik unabhängig von Geschlechtsidentitäten sicher zu stellen. Die Behandlungsmöglichkeiten müssen jedem Menschen offen stehen, der diese Behandlung wünscht.


Welche Gesetzlichen Reformen schaffen gute Rahmenbedingungen?

Ein wesentlicher Schritt um eine menschenrechtskonforme medizinische Behandlung zu ermöglichen, wird eine konsequente Reform bzw. eine Abschaffung des bisherigen „Transsexuellengesetzes“ darstellen. Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, seinen Geschlechtseintrag und Vornamen selbstbestimmt ändern lassen zu können - ohne Notwendigkeit einer geschlechtlichen Deutung.

Es ist darauf zu achten, dass eine gesetzliche Neuregelung so gestaltet ist, dass diese allen Menschen offen steht. Dies ist nur dann gewährleistet, wenn eine gesetzliche Neufassung frei ist von Verweisen zu „Orten der Geschlechtsidentität“, wie beispielsweise speziellen Beratungsstrukturen.

Jeder Mensch braucht das Recht dazu, frei zu sein von geschlechtlicher Deutung. Im Zweifelsfall weiss ein Mensch selbst besser über sein Geschlecht Bescheid, als ein Aussenstehender. Eine gesetzliche Regelung, die diesem Gedanken Rechnung trägt, ist längst überfällig.

Fazit

Unsere Empfehlungen für die kommende Legislaturperiode sind:

  • eine Schaffung einer rechtlichen Möglichkeit, dass alle Menschen ihren Geschlechtseintrag korrigieren lassen können, unabhängig von Bezügen zu „Geschlechtsidentität“
  • eine echte Reform der Diagnostiksysteme moderieren, die eine medizinische Behandlung ohne Gender-Deutung ermöglicht und Initiativen unterstützen, die an dieser Reform arbeiten
  • eine Klarstellung, dass Transsexualität angeboren und unveränderbar ist.

Link zur pdf-Version: Hier

Ein Brief an Anike Krämer

In den letzten Jahren hat sich etwas verändert. Eine emanzipative Bewegung, welche geschlechtliche Zuweisungen kritisiert hatte, wurde vielerorts zur identitären Bewegung, die von "Transgeschlechtern" und "Intergeschlechtern" spricht. Auch in Genderforschung gibt es Studien und Veröffentlichungen, in denen so getan wird, als gäbe es neben "Frauen" und "Männern" noch weitere Geschlechter. Wir halten das für eine geschlechterpolitische Sackgasse.

Ein Brief an Anike Krämer, M.A. Sozialwissenschaft. Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Professur für Gender Studies in Bochum.
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Liebe Anike Krämer,

Identität meint ja die Identifizierung mit einem sozialen Etwas. Ich kann eine nationale Identität entwickeln und sagen "ich bin deutsch" und daraus dann ableiten, dass die, die nicht deutsch genug sind, keine Deutschen sind. Identität bezieht sich auf homogene Massen, die - und das ist das Problem damit - nie homogen sind. Deswegen braucht Identität künstliche Symbole, Riten, Verhaltensregeln, etc. Zu diesen Codes, Symbolen und Verhaltensregeln gehört in Bezug zu Geschlecht, also wenn wir über "Geschlechtsidentität" sprechen, dann Genderstereotype (Frauen bügeln, Männer schrauben an Autos herum, Mädchen mögen rosa, Jungs mögen blau). Um Identität zu konstruieren, wird dann meistens ein Begriff, eine Bezeichnung verwendet. Die wäre dann bei Geschlecht z.B. "Frau" oder "Mann"... aber eben auch "Intergeschlecht" oder "Transgeschlecht".

Wenn wir uns aber mit der nicht-identitären Welt beschäftigen dann sehen wir, dass Menschen ganz unterschiedlich sind und diese von den konstruierten Identitäten gerne mal abweichen. Ein "Deutscher" spricht gerne mal unterschiedliche Sprachen, die sich von Dorf zu Dorf unterscheiden, in den Grenzregionen gibt es Überlappungen, es gibt Kinder von Migranten, usw. und so fort. Und bei Geschlecht verhält es sich ähnlich. Frauen haben nicht immer die Figur, die als "Frauenfigur" gerade in ist, nicht jeder Mann trägt Bart, etc.

Milton Diamond hat einmal gesagt, dass die Natur Vielfalt liebt, die Gesellschaft diese aber hasst. Dieser Satz beschreibt ziemlich genau die Konfliktline. Wenn Menschen mit Körpern geboren werden, die von der Norm abweichen, dann ist nicht der Körper das Problem, sondern die Norm. Die biologische Realität ist ja da - die Norm (bzw. Identität) wird kulturell erst geschaffen. Dazu kommt: Fast alle Menschen haben Variationen des Körpers. Bei manchen Menschen sind diese Variationen nur gering, bei manchen sind diese Variationen so gross, dass diese für einen Aussenstehenden als unpassend bewertet werden. Dies geschieht, wenn der Mediziner sich einen Körper ansieht und sagt "das Geschlecht ist uneindeutig". Und das, obwohl ein Mensch einen eindeutigen(!) Körper mitbringt - der Körper ist ja, was dieser ist.

Wenn nun die Zuweisung durch Aussenstehende getroffen wird, und gesagt wird "das Geschlecht ist uneindeutig, der Mensch ist also intergeschlechtlich", dann handelt es sich um eine Zuweisung, die auf Identität basiert, also einer künstlich geschaffenen, menschengemachten Norm.

Was wir in den letzten Jahren erlebt haben ist, dass Menschen darauf hingewiesen haben, dass solche Normzuweisungen schreckliche Folgen haben können wie z.B. Operationen an Neugeborenen, um diese einem Geschlecht zuzuordnen. Nun kommen wir aber nicht weiter, wenn wir die einen Zuweisungen durch neue Zuweisungen ablösen. Wenn ein Mensch mit körperlichen Variationen geboren wurde - oder besser: wenn ein Mensch weiss, dass sein Körper für ihn Abweichungen mitbringt - dann ist das einzige was hilft, den Blick bzw. die Perspektive der Deutung zu ersetzen durch eine Perspektive, die vom jeweiligen Menschen an sich ausgeht. Und das würde heissen, dass Frauen mit intersex-Diagnose eben nicht "intergeschlechtlich" sind, sondern Frauen, insofern sie genau dieses Wissen äussern. Diese Frauen dann zu "Intergeschlechtern" umzudeuten oder zu "Transgeschlechtern" basiert auf der Idee, Geschlecht zu normieren und geschlechtliche Deutung als wichtiger zu erachten, als die Selbstaussage von Menschen... oder, wenn wir so wollen: dieser Gedanke basiert darauf, "Identität" zu konstruieren, anstatt Menschen abzunehmen, dass sie wissen, wer sie sind.

Jemandem ein "Intergeschlecht" oder ein "Transgeschlecht" zu unterstellen, ist eine geschlechtliche Zuweisung. Dabei gäbe es gar keinen Grund dazu, solche Zuweisungen zu betreiben. Sie können mir ja gerne mal erklären, warum es nicht möglich sein soll, Menschen in ihrer Selbstaussage über ihr Geschlecht (was mehr ist als eine "Geschlechtsidentität") ernst zu nehmen und das dann zur Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungen zu machen. Diese Konsequenz erwarte ich von Menschen, die sich mit Fragen geschlechtlicher Zuweisungen beschäftigen um so mehr.

Schöne Grüsse,

Kim Schicklang